Der Kanton Thurgau senkt die Steuern. Besonders die auf dem Vermögen. Und den Kapitalleistungen aus Vermögen. Und für den Mittelstand sowieso. Es hat jetzt ja mehr Geld aus dem Neuen Finanzausgleich. Wenn man im Thurgau die Steuern senkt, kommen hoffentlich Reiche aus anderen Kantonen und aus EU-Ländern und zahlen neu Steuern im Thurgau, dann sollte die Sache aufgehen.
Die Stadt Zürich senkt die Steuern. Man hat die Ausgaben endlich im Griff und muss etwas machen, weil die anderen Gemeinden auch gesenkt haben. Es gibt kein Entrinnen beim Standortwettbewerb. Und auch kein Ende: zuziehende Unternehmen erhalten vielerorts nicht nur Steuerbefreiung, sondern Subventionen. Sonst gehen sie ja womöglich woanders hin.
Das System ist seit längerem bekannt: kleine Kantone und Vororte senken die Steuern, damit die Reichen ihren Wohnsitz zumindest auf dem Papier dorthin verlegen, und die grossen Kantone und Orte senken die Steuern, damit sie es doch nicht tun. Inzwischen haben wir zwar keine Schule mehr, die die Jugendlichen nach neun Jahren Unterricht das Schreiben oder Verstehen eines korrekten Satzes ermöglicht, aber wenigstens sind die Steuern gesunken.
Aber so ist es nicht.
Die permanenten Senkungen der Einkommenssteuern bringen natürlicherweise den Grossverdienern viel, den Mittelverdienern wenig und den Kleinverdienern nichts. Wer wenig oder keine Steuern zahlt, dem kann man sie halt nicht mehr senken, und wenn die Steuern für alle sinken, haben letztlich alle etwas davon.
Aber so ist es nicht.
Aber die Einkommenssteuern sind nicht die Steuern: bei den Einnahmen des Bundes ist die direkte Bundessteuer ein Posten unter vielen - und schon gar nicht der grösste, das ist nämlich die Mehrwertsteuer. Daneben lebt der Bund auch noch von Bier-, Schnaps-, Tabak, Alkohol-, Verrechnungs- und Stempelsteuern, von Benzinzöllen, Zollzuschlägen und Schwerverkehrsabgaben. Er besteuert zudem die Lohnempfänger mit einer besonderen Abgabe für AHV, EO, IV und ALV, nennt diese Steuern aber "Beiträge", er besteuert alle Radio- und Fernsehgeräte, nennt diese Steuer aber "Konzession" und zur Finanzierung des Gesundheitswesens erhebt er auf alle Köpfe eine Kopfsteuer, die nennt er Krankenkassenprämie.
Die Mehrwertsteuern und die Krankenkopfsteuern sind hierbei die grössten Posten. Sie haben drei Gemeinsamkeiten:
Rabatt für die Reichsten und die höchsten Steuersätze für die Aermsten, das ist hässlich. Aber es kommt noch schlimmer.
Dass die Krankenkopfsteuer eine Steuer ist, mag einigen neu sein (vergl. dazu die Definition der Steuern im Steuergrundkurs). Nicht aber, dass sie steigt. Nicht immer öfter, sondern immer.
Die klassische schweizerische Antwort: das ist von Kanton zu Kanton verschieden. Und ob Sie Kinder haben. Und verheiratet sind. Und Wohneigentum haben (steuerlich immer besser!). Und dann hängt es natürlich auch davon ab, ob Sie nicht nur die letzte Erhöhung der Krankenkopfsteuer hineinrechnen, sondern auch die vier nächsten.
Hier wenigstens ein einfacher Richtwert: das so genannt Steuerpaket von 2004 kombinierte die klassische Einkommenssteuersenkungen "für Familien" mit einer MWSt-Erhöhung. Effekt für Familien: höhere Steuern bei Einkommen bis 150'000 Franken jährlich, tiefere Steuern bei höheren Einkommen. Dabei sind die alljährlichen Erhöhungen der Krankenkopfsteuern nicht berücksichtigt, der tatsächliche Wert liegt also auf jeden Fall höher.
Historisch bewanderte Personen mögen jetzt einwenden, das Steuerpaket sei doch abgelehnt worden. Das ist zwar richtig, aber umgesetzt wird es jetzt trotzdem. Die Paramente des Bundes und der Kantone beschliessen jeden einzelnen Teil neu - siehe Artikelanfang. Hat jetzt wirklich jemand etwas von Volkswille gesagt? Sie sind mir vielleicht einer. Schon mal etwas von der Alpeninitiative gehört?
Fazit: Politiker beschliessen dauernd Steuersenkungen. Ein sehr kleiner und sehr reicher Teil der Bevölkerung spart Geld. Alle anderen zahlen Jahr für Jahr mehr. Die Steuerpolitiker betreiben seit 30 Jahren eine erfolgreiche Umverteilung: von unten uns aus der Mitte nach ganz, ganz oben.
Im letzten Punkt ist die Linke erfolgreich - und macht damit die Umverteilung von unten nach oben überhaupt erst möglich. Das ist auch der Grund für den Erfolg: die Bürgerlichen, die diese Umverteilung wollen, stimmen mit.
Wenn wir davon ausgehen, dass es nicht das Ziel linker Politik sein kann, wenige Reiche reicher und alle anderen ärmer zu machen, tut ein Richtungswechsel not.
Unverantwortlich? Wer dauernd überstimmt wird und somit nichts beschliessen kann, kann gar nicht verantwortlich sein. Wer hier Unverantwortlichkeit wittert, hält sich für staatstragend. Das ist rührend, aber falsch. Die Rechte bestimmt in allen Belangen und trägt folglich auch die Verantwortung. In der Praxis viel wichtiger ist aber dies: wenn die Bürgerlichen die Steuern senken wollen, beschliessen sie das sowieso. Die Frage ist, ob man hilflos protestiert und als Bürgerschreck und Steuervogt dasteht, oder etwas Gutes daraus macht.
Wie der geschröpfte Staat den Fehlbetrag nun einsparen soll? Das muss die bürgerliche Mehrheit wissen. Sie wollte ja die Steuern senken. Und hat Angst vor Referenden und Abwahl.
Das ist aber noch nicht alles. Wir haben jetzt ja nur auf bürgerliche Steuerpolitiker reagiert. Und die wollen ja nur die Steuern für die Reichen senken. Wir wissen inzwischen, dass es noch andere Steuern gibt. Jetzt werden wir initiativ:
Die Krankenkopfsteuern sind gestiegen? Warum sollte man das hinnehmen? Die Einkommenssteuern steigen ja auch nicht - also verlangen wir vom Kanton, dass er sie für die Steuerzahlenden gleich wieder senkt. Wer will und die Mehrheit hat, kann das ohne Weiteres - mit stärkeren Verbilligungen, einem höheren Staatsanteil an den Gesamtkosten, nicht zuletzt einer vernünftigeren Spitalplanung. Oder sind die Bürgerlichen etwa unfähig?
Linke, senkt die Steuern. Es wird ein Heidenspass.
Geschrieben im Delirium. Erstveröffentlichung in der WochenZeitung WoZ 10/07 vom 8. März 2007
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