Angenehmere Lektüre mit weniger langen Zeilen!

In sieben Schritten zu gerechteren Steuern

Die Vorlage wurde abgelehnt, das Schweizer Steuersystem bleibt schlecht. Eine Liste seiner grössten Mängel, und was dagegen zu tun wäre.

"Nur kleine Leute zahlen Steuern."
Hotelmillionärin Leona Helmsley vor Gericht, wenige Stunden vor ihrer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung

Eine Steuerreform zugunsten der reichsten zehn Prozent und zulasten der restlichen Bevölkerung ist gescheitert. Damit behalten wir das bisherige Steuersystem mit all seinen Nachteilen. Dank dem Nein zum Steuerpaket ist es nicht noch schlechter geworden. Faul ist aber vieles, am System und an der Diskussion.

  1. Die vergessenen Grundsätze. Wer soll wie viel zum öffentlichen Haushalt beitragen? Alle den gleichen Betrag? Soll mehr Steuern zahlen, wer mehr verdient? Oder umgekehrt?

    «Steuergerechtigkeit» hiess einmal auch bei den Bürgerlichen «gerechte progressive Besteuerung» - also Steuersätze, die mit dem Einkommen steigen. Warum fand man das gerecht? Besteuert werden soll das frei verfügbare Einkommen. Je mehr jemand verdient, desto grösser ist der Anteil am Einkommen, der nicht für das unmittelbare Überleben gebraucht wird. Darum darf der Steuersatz steigen.

    Heute hört man zu diesem Thema nur noch Klagen über die angeblich zu hohe Progression bei der direkten Bundessteuer. Keiner der klagenden Politiker sagt laut, dass er das Steuersystem degressiv machen will. Das ist auch nicht mehr nötig. Es ist nämlich schon passiert.

    Je weniger man verdient, desto grösser ist heute der Anteil, den man abgeben muss. Grund dafür ist die erfolgreiche bürgerliche Steuerpolitik der letzten Jahre: einkommens-abhängige Steuern wurden auf allen Ebenen mehrfach gesenkt, einkommens-unabhängige Steuern noch häufiger erhöht. Geholfen haben auch die Linken, die jede Steuererhöhung aus Prinzip gutheissen, auch wenn sie Leute mit kleinen und mittleren Einkommen viel härter trifft als die mit den fünf- und sechsstelligen Monatslöhnen.

  2. Die verengte Optik. Wo Bürgerliche von Steuern reden und mit Steuersenkungen Probleme lösen wollen, reden sie ausschliesslich von Einkommenssteuern. Das sind Steuern, die - gerade auf Bundesebene - nur für Leute mit hohen oder sehr hohen Einkommen von Bedeutung sind. Für alle anderen sind andere Steuerarten viel wichtiger - und schlimmer, weil diese anderen Steuern ständig steigen.

    Oben regelmässige Steuersenkungen, unten und in der Mitte jährlich kräftige Erhöhungen - das wirkt sich aus: Jährlich fallen tausende unter die Armutsgrenze, hunderttausende bewegen sich darauf zu. Nur die einkommensstärksten zehn Prozent der Bevölkerung konnten in den letzten zwölf Jahren das verfügbare Einkommen steigern. Drei Viertel der Bevölkerung verlieren seit 1992 Jahr für Jahr an Kaufkraft. Der Hauptgrund dafür ist bekanntlich:

  3. Die Katastrophe bei den Krankenkassenprämien. Jedes entwickelte Land hat ein staatliches Gesundheitssystem, das es mit Steuern finanziert, auch die Schweiz. Als einziges Land der OECD erhebt die Schweiz hier mit obligatorischen Krankenkassenprämien eine Kopfsteuer.

    Kopfsteuern passen zum Verfassungsgrundsatz der «Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit» wie eine Faust aufs Auge. Was die Sache noch verschlimmert: Die Krankenkopfsteuer steigt jedes Jahr kräftig.

  4. Die Subventionierung der WohneigentümerInnen durch die MieterInnen. Der Bund ist nicht nur zu einer Mutterschaftsversicherung verpflichtet, sondern zur Förderung von Wohneigentum. Die Bürgerlichen finden es ideal, wenn man diesem Auftrag nachkommt, indem man Milliarden verschenkt an die Leute, die a) schon längst Wohneigentümer sind und b) sehr viel verdienen. Die Steuerausfälle werden von den Besitzlosen bezahlt. Gefördert wird so gar nichts.

  5. Die Katastrophe für Familien. Die öffentliche Hand wendet zur finanziellen Besserstellung von Familien 6,9 Milliarden Franken auf (ohne Sozialhilfe). Ein Teil wird als Kinderzulage ausgeschüttet, mit dem anderen werden durch Kinderabzüge Einkommenssteuern gesenkt.

    Auf diese Weise geht der grösste Teil des Geldes an Eltern mit sehr hohen Einkommen. Wer wenig verdient, geht leer aus. Die Antwort der bürgerlichen SteuerpolitikerInnen auf das Armutsrisiko Familiengründung besteht also in Steuerrabatten für die Oberschicht.

  6. Die Palette der Abzüge. Neben Abzügen für reiche Eltern und WohneigentümerInnen gibt es noch unzählige andere: fürs Autofahren auf dem Arbeitsweg, für Einzahlungen auf Dritte-Säule-Konti, für Vermögensverwaltung. All diese Abzüge bedienen Lobbys mit Partikularinteressen und haben weder einen steuertechnischen Sinn noch irgendeinen Nutzen, ausser dass sie Schlupflöcher schaffen und den Leuten mit hohen Einkommen beim Geldsparen helfen (Abzüge bei Einkommenssteuern begünstigen zwangsläufig hohe Einkommen).

  7. Das Ausnahmefestival. Arbeitseinkommen unterliegen mehreren Steuern. Lotteriegewinne auch. Erbschaften nicht. Ruhegehälter schon. Kapitalgewinne nicht. Hotellerieleistungen haben einen tieferen Mehrwertsteuersatz. Versicherungen sind von der Mehrwertsteuer ausgenommen. Nicht aber ihre Kantinen.

    Die Ausnahmen haben ähnliche Wirkungen wie die Abzüge: Sie schaffen Arbeitsplätze für ein Heer von Optimierern und Schlupflochspezialistinnen. Sie verhelfen Millionären zu steuerbaren Einkommen von null Franken. Sie machen Normalbürgerinnen und den kleinen und mittleren Unternehmen die Steuerabrechnung zur Hölle. Und sie belasten die Verwaltung: Die Steuerkommissäre verbringen ihre Zeit, indem sie mit den Steueranwälten der Grossverdiener streiten. Dafür gibt es wegen Zeitmangel keine Kontrollen der Steuererklärungen mehr. (Der Kanton Aargau führt gar keine mehr durch, weil die Bürgerlichen das Personal abgebaut haben. Im Kanton Bern kommt ein Unternehmen im Schnitt alle siebzehn Jahre dran. Im Kanton Zürich darf ein Kommissär, der tausende von Steuerpflichtigen betreut, dreimal pro Jahr eine Revision beantragen.)

    Das Ergebnis: Wer nicht betrügt, muss sich betrogen vorkommen. Der Staat lebt von den kleinen Leuten und von den dummen (ehrlichen).

Was tun? Diese Liste der Grausamkeiten erinnert nicht zufällig an die beiden am 16. Mai 2004 (glücklicherweise) haushoch versenkten Steuervorlagen: Sie hätten die bisherige bürgerliche Umverteilungspolitik einfach einen Schritt weitergeführt. Weitere Parlamentsbeschlüsse in derselben Richtung sind bereits angekündigt. Was tun?
  1. Ein Bekenntnis einfordern. Ein Bekenntnis zur Steuergerechtigkeit und zur Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit tut Not. Auch die Linke muss in Zukunft jede Massnahme ablehnen, die in die andere Richtung geht. Insbesondere darf sie keiner Mehrwertsteuererhöhung zustimmen, solange die Bürgerlichen Einkommenssteuern zu senken versuchen.

  2. Gesamtsicht herstellen und kontern. Bürgerliche Forderungen nach Einkommenssteuersenkungen «für Familien» sollten nicht oder nicht nur bekämpft werden. Es braucht einen Konter: die Forderung nach der Senkung der Krankenkopfsteuer mit der Begründung, dass dann Familien auch etwas davon haben und nicht nur reiche Ehepaare.

  3. Keine Mehrwertsteuererhöhungen mehr. Die Mehrwertsteuer belastet die kleinsten Einkommen übermässig und Jahreseinkommen ab 140000 Franken unterproportional. Solange Kapitalgewinne und Erbschaften steuerfrei und die Einkommenssteuern von Abzügen und Ausnahmen durchlöchert sind, muss die Linke jede Erhöhung der Mehrwertsteuer bekämpfen. Mit einer Ausnahme: Eine Mehrwertsteuererhöhung ist eine sehr soziale Massnahme, wenn sie die Krankenkopfsteuer ersetzt.

  4. Gleiche Rechte für Mieter und Wohneigentümerinnen. Die Abzüge für Zinsen und Gebäudeunterhalt haben nur bei Bauern und anderen selbständig Erwerbenden einen steuertechnischen Sinn. Bei allen anderen - das heisst bei fast allen WohneigentümerInnen - können diese Abzüge ersatzlos gestrichen werden. Damit entfällt auch der Eigenmietwert und der permanente Streit darum.

  5. Noch einmal Abzüge abschaffen. Alle Sondertarife für Verheiratete und Alleinstehende sowie Abzüge für Leute mit Kindern sind abzuschaffen. Mit dem zusätzlichen Steuergeld kann man die Kinderzulagen erhöhen. Dann gibt es nur noch eine statt zwei Bürokratien, es gibt für jedes Kind gleich viel, und fast alle Familien profitieren (ausser den sehr wenigen mit extrem hohem Einkommen, die keiner Unterstützung bedürfen).

  6. Und noch einmal. Alle anderen Abzüge bei den Einkommenssteuern gehören gestrichen, sie sind allesamt nicht nur sinnlos, sondern schädlich. Nun kann man ohne Mehraufwand alle Erwachsenen individuell besteuern, wodurch die oft beklagte Sonderbehandlung von Ehepaaren entfällt.

  7. Den Steuertarif senken. Alle Ausnahmen und Sondersätze bei Einkommens- und Mehrwertsteuer werden gestrichen. Zum Ausgleich muss der Tarif gesenkt werden - ein Systemwechsel darf nicht zugleich eine Steuererhöhung sein. So aber gibt es klare Fronten: Allgemeininteresse gegen Partikularinteresse.

    Auf dass das Steuernzahlen nicht länger ein Privileg der Dummen, der Ehrlichen und der kleinen Leute bleibt.

Erstveröffentlichung in der WochenZeitung WoZ 21/04 vom 19. Mai 2004


Zum Steuergrundkurs.

Zurück zur Textübersicht.

Zurück zur Hauptseite von CLK.


Best viewed with any browser Valid HTML 4.01!