Angenehmere Lektüre mit weniger langen Zeilen!

Donnerstag, 19. Dezember 2002: Durststrecke

Liebe Leserin, lieber Leser

Sie haben's hart. Sie werden volle drei Wochen mit mir auskommen müssen, denn so lange geht es, bis die nächste WoZ erscheint. Die WoZ ist daher auch zu und geht erst am 6. Januar 2003 wieder auf. Es ist der Buchhaltung vorbehalten, die WoZ durch den Winter zu bringen und nebenbei einen Haufen Papier zu produzieren, das meiste davon für die Behörden. Stille Nacht ist Hochsaison für solches Zeug.

Vorerst steht allerdings die letzte Honorarabrechnung an, was mich jeden Monat sehr viel Zeit kostet; und dass ich mich nachmittags an einem Zweitjob verlustiere, macht die Sache auch nicht besser und sorgt für Wochenendschichten. Kurz: Mir fehlt damit die Musse für ein ähnlich langes Tagebuch wie im Mai. Wenn es Ihnen langweilig wird, lesen Sie das.

Darum gibt es hier nicht mehr zur WoZ, denn das Erfinden von schonungslosen Enthüllungen braucht Zeit, und die zeitsparende Wahrheit darf ich selbstverständlich nicht schreiben, ohne a) eine Kündigungswelle zu produzieren bzw. b) selber hochkant rauszufliegen, und dies nur zwei Monate, bevor meine Zeit hier ohnehin abgelaufen ist.

Sie sollen aber trotzdem etwas von dem Tagebuch haben.

Deshalb noch schnell eine Geschenkidee: Ein schwer interessantes und sehr leicht lesbares historisches Sachbuch über Projektierung und Bau der Jungfraubahn kann nie ganz daneben sein: Moser Patrick, "So wird die Jungfrau zur Demoiselle gemacht", Chronos-Verlag, 416 Seiten (Sie werden staunen, wie schnell die durch sind).

Ausserdem: Wenn Sie mit dem Datenbankprogramm Filemaker arbeiten und ein Postkonto haben, müssen Sie jetzt sofort die Datenbank angucken, mit der Sie Zahlungen fürs Yellownet offline erfassen und im Yellownet einreichen können. Wenn ich bis Ende Jahr nicht mindestens dreihundert Hits auf der Seite mit den Screenshots habe, bin ich persönlich beleidigt.

Mehr dazu später.

Freitag, 20. Dezember 2002

Ein schöner Teil des WoZ-Personals, die so genannte Redaktion, beschäftigt sich damit, die Zeitung mit einem Inhalt zu versehen, oder sie zumindest so aussehen zu lassen, als hätte sie einen. (Dieser Satz wurde durch die Webdomina ergänzt.) Was so eine Redaktion ist, und was sie nicht ist, wissen Sie bereits aus dem Tagebuch vom 20. Mai 2002, ansonsten können Sie es hier nachlesen.

Wie Sie nun auch wissen, stammt nur ein kleiner Teil der Texte, Fotos und Zeichnungen von angestellten WoZ-Redaktionsleuten. Der Rest kommt von so genannten freien MitarbeiterInnen, und die sind so frei, dass sie keinen Lohn erhalten, sondern bestenfalls ein Honorar. Die WoZ ist bekanntlich etwas besonderes, und dies färbt auch auf die WoZ-Honorare ab: sie sind besonders tief.

Von der WoZ kriegen Sie für eine Stunde Arbeit 20 Franken und dazu noch Fr. 1.65 Feriengeldauszahlung, total also Fr. 21.65 brutto, und davon gehen natürlich noch die Sozialsteuern weg, es sei denn, Sie wohnen nicht in der Schweiz oder sind bei der AHV als selbständig anerkannt. In jedem anderen Fall kriegen Sie nur noch 20.25 Franken.

Natürlich geht noch mehr weg, wenn Sie fürs Alter vorsorgen und sich der Pensionskasse Freelance der Mediengewerkschaft comedia angeschlossen haben. Jetzt sind Sie schon auf 18.90 netto unten. Das gleiche geschieht den 4 (vier) Nasen in meiner Datei, die sich bei der bürgerlichen Konkurrenz, dem VSJ, versichert haben. Wie weit sind wir eigentlich schon, dass solche Leute für die WoZ schreiben dürfen? Kein Wunder, ruft die NZZ Print an und sagt, sie möchte die WoZ drucken (die sollen uns erst mal vorschlagen, die WoZ der Donnerstags-NZZ beizulegen, dann reden wir drüber).

Aber zurück zu den vier Rechtsabweichlern: deretwegen muss ich mich mit zwei Pensionskassen für freie Mitarbeiter herumschlagen (und die für die Festangestellten kommt ja noch dazu).

Nun hört mal her, ihr freien Pensionskassengeldäufner: Warum tut ihr euch das an? Haben Sie noch nie etwas von der durchschnittlichen Lebenserwartung von Schurnis gehört?

Treten Sie subito aus der Pensionskasse aus und verprassen Sie das Geld sofort. Dies hat schwere Vorteile:

  1. Ich habe weniger Arbeit
  2. Die WoZ spart die Arbeitgeberbeiträge
  3. Sie haben mehr vom Leben
  4. Sie unterstützen das kranke 2.-Säule-System nicht mehr. Wussten Sie, dass bei der zweiten Säule zehn Mal so viel Geld für die Verwaltung draufgeht wie bei der ersten?

Für heute ist meine Zeit abgelaufen. Auf die Honorare komme ich aber noch zurück, und auf Redaktionsleute, die mir die Angaben dazu nicht liefern. Demnächst in diesem Theater. Mit Fotos!

21. Dezember 2002

Samstag; keine Brüllaffen im Büro, keine Technoparty in der Bar untendran und vorwärts komme ich trotzdem nicht. Ich werde darob noch richtig hässig, besonders beim Tagebuchschreiben. Ich habe schon fünf Ansätze wieder gelöscht, möchte schon lange weiterarbeiten und bin mittlerweile in bester Stimmung, das Mobiliar zu demolieren. Wenn Sie demnächst am Radio hören, in Zürich seien Tramzüge der Linie 4 mit Stühlen und Computern beworfen worden, brauchen Sie sich nicht zu wundern.

Ich konnte wie üblich erst um 9h30 zur DIE POST, weil die Postfacheinsortierer an Samstagen ausschlafen, und den kleinen Rest von Vormittag, den es danach noch gibt, vertrödelte ich mit dem Verteilen derselben und mit Arbeiten an Abonnementen und Kleininseraten, wo ich gerade ferienmachende bzw. kranke MitarbeiterInnen vertreten muss.

Dabei kam es zum ersten Skandal des Tages (oder zum zweiten, wenn man das wöchentliche Verpennen der Postheinis berücksichtigt), und daran sind Sie schuld (ja, SIE!). Eine Inserentin begann nämlich am Sinn ihres Inserates zu zweifeln. Die WoZ ist zwar das Fachblatt für Liebe, Revolution und Zweifel, der Sinn eines Abonnementes oder eines Inserates darf hingegen nie in Frage gestellt werden.

Das Inserat wurde unter der Rubrik "Ferien" veröffentlicht, und SIE haben keine dort gebucht. Was erlauben Sie sich eigentlich? Holen Sie das gefälligst sofort hier nach, sonst verhungert erst die Inserentin und dann die WoZ.

Zur Sache geht's erst am Nachmittag: Die Honorarabrechnung sei eigentlich ziemlich einfach, erklärte mir mein Vorgänger vor 6 Jahren. Problematisch seien nur die hunderttausend Ausnahmen. In einem Monat werde ich meinem Nachfolger das Gleiche sagen.

Wie es funktioniert?

Man nehme alle WochenZeitungen samt Beilagen, die in einem Kalendermonat erschienen sind, blättere sie von vorne nach hinten durch und erfasse alle Honorarangaben so, wie sie die Redaktion freundlicherweise darauf notiert hat (meistens jedenfalls). Danach Lohnabrechnungen rechnen lassen und auszahlen, eine Runde mit DTA (Leute mit Schweizer Konti), eine Runde mit einer Diskette für die Sparkasse Bodensee (Leute mit Konti in Deutschland) und eine Runde mit CLK-EZAG (Leute mit Konti sonstwo). Danach noch ein paar Auswertungen tabellenkalkulieren und für die Leute vom Redaktionsausschuss Rasch kopieren. Verbuchen nicht vergessen, und dann den Saldo des Auszahlungskontos aufdröseln. Im Idealfall solte es zwar gar keinen geben. Das habe ich in sechs Jahren allerdings noch nie erlebt.

Der Engpass liegt im Vorfeld. Wer von der Redaktion Kontakt zu einer Autorin knüpft, muss sicher stellen, dass die Buchhaltung Adresse und Konto kriegt. Und darf natürlich auch nicht so bescheuert sein, mit der Autorin eine Spezialvereinbarung zu treffen und diese danach geheim zu halten.

Fast alle Redaktionsleute zeigen sich diesen Anforderungen gewachsen. Ein paar haben hingegen herausgefunden, dass sie ihren Lohn auch kriegen, wenn sie sich diese Arbeit sparen. Solch bourgeoise Subjekte gehören schon lange an den Pranger!

Einschub der Webdomina: Den Pranger gibt's demnächst. Zwar nicht in diesem Tagebuch, aber anderswo im www. Wer sucht, der findet.

Wer gefunden hat, möge bitte folgende Solidaritätskundgebung an den/die Fehlbare(n) übermitteln :


Wenn du der WoZ-Buchhaltung noch einmal Adresse und Konto von Freien vorenthältst, bestelle ich mein WoZ-Abo ab! Und die Ressorts Kultur, Wissenschaft und Gesellschaft lese ich grad extra nicht mehr! Nieder mit der Faulheit in der Redaktion! Hoch die Solidarität mit der WoZ-Buchhaltung!
Natürlich bestellen Sie Ihr Abo nicht ab, aber das bleibt strikt unter uns. Schreiben Sie maximal ein Mail pro erkanntem Verbrecher. Wenn Sie die Wirkung erhöhen wollen, empfehlen Sie das Spiel Ihren Freunden und Bekannten.

Inzwischen bin ich überhaupt nicht mehr hässig. (Der Webdomina fällt ein Stein vom Herzen, sie hat es nämlich überhaupt nicht gern, wenn der Tagebuchschreiber hässig ist.)
Sie brauchen also nicht mehr am Radio zu kleben und auf die Nachricht mit dem Tram zu warten.

Nun tun wir aber noch etwas für die Opfer, allerdings nur für diejenigen des Jahres 2002, denn sonst wird's zu lang. Wenn Sie Ihren Namen in der untenstehenden Liste finden und glauben, in diesem Jahr einen Beitrag zum Füllen der WoZ geleistet zu haben, senden Sie mir Ihre Adresse, Ihre Kontonummer und Ihre AHV-Nummer.

Es gibt GELD!

Sonntag, 22. Dezember 2002: WEMI

Heute möchte ich alle, die das Tagebuch vom 20. Dezember gelesen und sich auf die am Schluss angekündigten Fotos gefreut haben, um Verzeihung bitten. Die Fotos sind nicht etwa ausgeblieben, weil ich sie nicht beschaffen konnte, sondern weil die Webdomina sie aus Angst vor einer Kündigungswelle in der Redaktion zensuriert hat. Dies erwies sich indes als kontraproduktiv; ein Redaktor glaubte sich nun fälschlicherweise mitgemeint und mailte mir prompt eine Verteidigungsrede. Dies bestätigt immerhin, dass es WoZ-Mitarbeiter gibt, die das Tagebuch lesen, nicht aber, dass dies sonst noch jemand tut. Ich vertrete seit längerem die Ansicht, dass kein Schwein hier mitliest. Wenn Sie dies widerlegen wollen, senden Sie mir ein E-Mail mit der Betreffszeile «Oink!». Die Zahl der Mails entscheidet über den Fortbestand dieses Tagebuchs.

Weniger ist mehr, denn dass die Siebentagewoche den Gesamtoutput keineswegs fördert, habe ich 120 Jahre nach der Schaffung des ersten eidg. Fabrikgesetzes erfahren. Dabei war die damalige Druckofferte der Tamedia den geopferten Sonntag nicht mal wert. Die NZZ gab übrigens weniger Arbeit, Generalsekretär Büttel verbot eine Offertstellung aus «verlegerischen» Gründen. Dafür offerierte die alte Tante im Jahr 2001 um so eifriger. Der Hottinger muss ihnen das arabische Sprichtwort von der Not erzählt habe, die ihre eigenen Regeln hat. Aber was erzähle ich Ihnen da. Die Webdomina wird's sowieso zensurieren.

Item, der Mensch wird mit dem Alter weniger leistungsfähig, aber erfahrener; so begab ich mich heute Sonntag einzig auf die WoZ, um die NZZ am Sonntag zu klauen bzw. zu privatisieren bzw. zu verhindern, dass sie ungelesen ins Altpapier wandert, wo die WoZ doch zu ist, und setzte für den Rest des Tages die beliebte Übung WEMI an (Wiederherstellung der Einsatzbereitschaft der maximalen Inventurbereitschaft, bzw. Buchhaltererholungsfahrt). Die Fahrt führte in eine nordwestschweizerische Stadt, in der er es fahrende Tramzüge gibt. Es ist immer wieder erstaunlich, was alles funktioniert, wenn man nur Orte findet, an die der Arm des Zürcher Wirtschaftsfreisinns nicht hinlangt, denn wer glaubt, die Demolition Crew hätte sich mit Rentenanstalt und Swissair begnügt, kennt die fürchterliche Wahrheit nicht: einer ihrer hoffnungsvollsten Bundesratsaspiranten, der chinafahrende Zahnarzt Dr. Dr. Thomas Wagner, brockte seiner Stadt, als er an der Endstation seiner Karriere angelangt war, ein neues Tram ein, auf dass für alle Endstation sei.

Montag, 23. Dezember 2002

Vormittag WoZ, Nachmittag Velojournal, und ich komme wieder nicht vorwärts, weil ich in die Aboverwaltung fremdgehen muss, wo Ferien- und Krankheitsfälle aufgetreten sind. Die AHV kommt bestenfalls am 24. Dezember dran.

>>>> Anm. der Webdomina: Der Herr Tagebuchschreiber ist heute schreibfaul, wie Sie sehen. Dabei habe ich den Herrn Tagebuchschreiber nach dem soeben erfolgten Tagebuchzensurskandal ausdrücklich dazu aufgefordert, wenigstens noch diesen Satz einzubauen: " Die Webdomina ist eine blöde Kuh! "
Er hat es nicht getan, was eine böse Missachtung meiner Autorität als Webdomina und Tagebuchzensorin ist.
Da es sich aber um eine wichtige Information handelt - zumindest für die, die es nicht eh schon wussten - liefere ich den Satz nach (ich muss aber auch wirklich immer alles selber machen!) -----> "Die Webdomina ist eine blöde Kuh!"

Dienstag, 24. Dezember 2002

Die soeben mit Ihrer geschätzten Mitwirkung durchgeführte Untersuchung erlaubt mir, alle Lesenden einzeln und persönlich zu begrüssen:

Liebe Online-Redaktorin!
Lieber Kulturredaktor!
Liebe Ex-Inlandredaktorin!
Liebe Ex-Korrektorin!
Sehr geehrte Frau Schmid!

Dass das Tagebuch ausser von der Redaktorin, die es ins Netz stellt, noch genau von 4 Personen gelesen wird, davon sogar von einer, die nicht von der WoZ angestellt ist oder war (oder etwa doch, Frau Schmid? Raus mit der Sprache!), ist natürlich ein Aufsteller, der mich zum Weiterschreiben animiert. Die heutigen Themen sind:

Zahlreiches Publikum, aufschlagende Zeitungen, spendierfreudiges Publikum, Alzheimer und der Beginn der Ernsthaftigkeit.

Erstes Thema: Zahlreiches Publikum; das hatten wir schon. Ich wollte natürlich noch behaupten, dass sich das Tagebuch somit gut mit dem Kulturteil der WoZ messen könne, da dies Tagebuch aber von einem Kulturredaktor mitgelesen wird, muss ich mir das wohl verkneifen. Daher schliessen wir dieses Thema sofort ab und gehen über zu den aufschlagenden Zeitungen.

Zweites Thema: Die Zeitungen schlagen 2003 auf, jedenfalls im Schnitt und um 11 Rappen, sowohl im Einzelverkauf wie auch im Abonnement, aber die WoZ nicht! Die WoZ geht mit den gleichen Abopreisen ins dritte Jahr. Die Inseratepreise sind sowieso schon seit Urzeiten gleich, und die Preise für Kleininserate haben wir heuer gar gesenkt. Haben Sie in letzter Zeit eins aufgegeben? Lesen Sie hier mehr dazu.

Drittes Thema: Spendierfreudiges Publikum. Die Rezession halte die Leute nicht vom Spenden ab, sagte Radio DRS heute. Dies tröstet in diesen harten Zeiten auch die WoZ. Wir haben in den letzten Wochen Tausende von Aboerneuerungsrechnungen verschickt und harren nun zitternd der Zahlungen. Diese kriegen wir jeden Dienstag Morgen von der DIE POST zugeschickt, und heute gab's zu Weihnachten 42 Seiten voll.

Neben den üblichen Schwerenötern, die bis zur zweiten Mahnung gewartet hatten und ihr Abonnement von unserem Computer abgestellt kriegten, und jenen, die zuerst gar nicht zahlen und dann doppelt, weil sie nun eine Rechnung und eine Zahlungserinnerung haben und mit jedem Einzahlungsschein etwas anfangen wollen, gab es manche schöne Aufrundungen. So eignet sich die Zahl 235 hervorragenderweise dazu, mit so etwas Unscheinbarem wie der Zahl 15 auf schöne 250 ergänzt zu werden. Doch nicht alle müssen das Dezimalsystem abfeiern, 255 sieht auch gut aus. Nicht selten ist gar die fürstliche Zulage von 65 auf die schöne Zahl 300. Den heutigen Kreativitätspreis kriegt eine Abonnentin, deren Namen ich leider unterschlagen muss; sie hat sich sogar Verdankungen verbeten. Sie rundete um genau 152 auf 387 Franken auf, und ich werde noch tagelang rätseln, ob das eine geheime Botschaft ist.

Oder auch nicht, weil ich es gleich wieder vergesse. -> Viertes Thema: Alzheimer. Der Zürcher Tages-Aneigner geisselte am 23. Dezember die Passwort-Faulheit des gemeinen Volkes und gab einen Tipp für leicht zu merkende, aber schwierig zu erratende Passwörter: die Anfangsbuchstaben eines Satzes. Und 8 Zeichen lang müsse das Ding sein, mindestens, und Zahlen und Sonderzeichen haben.

Auf sowas hatte ich natürlich gerade gewartet, nämlich mindestens 8 Monate lang, an denen ich den Yellownetzugang der WoZ mit demselben ausgeleierten Passwort schützte, das erst noch ein normales* Wort war, mehr oder weniger jedenfalls. *(Jetzt tut der Kerl schon, als gäbe es irgend einen normalen Moment in seinem Leben. Dabei schafft er es ja noch nicht mal, zu schreiben: " Die Webdomina ist eine blöde Kuh!" .)

Ich suchte mir einen schönen Satz aus einem Sturm-und-Drang-Gedicht, ergänzte mit zwei sympathischen Zahlen und gab dies als neues Passwort an. Dass ein ä darin vorkam, fand ich besonders raffiniert. Yellownet fand das weniger. Yellownet nix ä, bitte wählen Sie ein anderes Passwort. Ich war nicht faul und nahm die Anfangsbuchstaben eines anderen tollen Satzes. Sie ahnen, was nun kommt? Ist von einem gewissen Alter an glaub ich normal. Mein Zugang ist nun gesperrt, und der Kundendienst tanzt bis in den Januar hinein um den goldenen Christbaum.

Fünftes Thema: Beginn der Ernsthaftigkeit, ein leeres Büro, keine redaktionellen Brüllaffen, nur eine kulturschaffende Inserateakquisiteuse hat sich zugesellt, und nicht nur die buchhalterischen Routinejobs sind abgehakt, sondern auch die ganzen Posthol- und Abogeschichten, die ich für die ferien- bzw. krankheitsabwesenden Mitarbeitenden erledigte. Der Nachmittag des 24. Dezembers wird ein guter Tag für die AHV.

Damit, meine lieben 5 LeserInnen, komme ich zum Ende des heutigen Tagebuchs. Wie Sie längst gemerkt haben, besteht es aus Banalitäten. Der Tag gibt nichts her. Ich muss wieder Themenschwerpunkte setzen, die mit dem Tagesablauf nichts zu tun hatten. Die zwei nächsten geplanten Folgen sind:

Mittwoch, 25. Dezember 2002

Heimwerkstatt, nix WoZ heute. Eigentlich wollte ich nun eine Liste der Leute veröffentlichen, die mir ihre AHV-Karte schicken müssen. Aber die schönen Listen sind alle auf der WoZ, die ich am 24. Dezember kurz nach 19 Uhr verlassen konnte. Ein Haufen Papier auf dem Tisch und ein noch grösserer Haufen AHV-Listen im Computer.

Mein ohnehin alzheimergeschädigtes Hirn gibt nur die beiden Extrempositionen der alphabetischen Liste her:

und den grössten aller Schwerenöter. ERNI Daniel. Sie erkennen den Namen vielleicht, er war schon in der Liste jener, die Geld kriegen sollten. Und ich weiss nicht, wo der Kerl steckt. Der Trottel von Redaktor hält Adresse nebst Konto geheim, und die Webdomina, die blöde Kuh, hat mir nicht einmal erlaubt, den Kerl an den Pranger zu stellen (den Redaktor meine ich jetzt, nicht den Autor).

Hier muss ich noch kurz einschieben, dass die Webdomina selbstverständlich keine blöde Kuh ist (Richtigstellung der Webdomina: Glauben Sie dem Buchhalterkerl kein Wort! Ich weiss ganz genau, dass er mich als die blöde Kuh erkannt hat, die ich bin, er will bloss nicht öffentlich dazu stehen), sie hat nur den Betriebsfrieden im Auge (vielleicht etwas zu sehr, da hier ja bloss 6 Personen mitlesen und die faulen RedaktorInnen nicht darunter sind), und wenn man unserer Webdomina überhaupt etwas vorwerfen kann, dann höchstens, dass sie schnäderfrässig ist und eigentlich nichts gern hat ausser Jogurt, und die auch nur, wenn das Haltbarkeitsdatum abgelaufen ist. Aber was rede ich da, sie wird's eh zensurieren.

Zurück zum Problem mit meiner Arbeit: ich muss schleunigst der AHV die Gehaltsliste überreichen. 203 Leute stehen drauf, von 9 Stück fehlt die Nummer. Sollten Sie an Ihrer Weihnachtsfeier, im Lift, in Ihrer Gummizelle oder in Ihrem Bett zufälligerweise auf Amrein Philipp, Vetsch Mona oder Erni Daniel treffen, entreissen Sie denen die AHV-Nummer und mailen Sie sie mir. Die Liste wird am Freitag noch ergänzt.

Eigentlich wollte ich ja einen Schwerpunkt setzen. Also:

Immer Ärger mit der DIE POST oder warum ist alles öd und leer und es gibt keine WoZ?

Nicht aus Spargründen, da kennen Sie Ihre Zeitung schlecht. Es ist auf der WoZ im Gegenteil so, dass die Behauptung, ein Vorhaben diene der Einsparung von Geld, der beste Killer in jeder Argumentation ist.

Dass also zwei WoZen hintereinander ausfallen, ist keine Sparbemühung. Es wäre auch ein denkbar schlechter Zeitpunkt für Betriebsferien, denn nie liegen so viele Aborechnungen bei unserem Publikum wie im Dezember und Januar. Wenn schon, müsste die WoZ im Sommer dicht machen. Tut sie aber nicht. Was ist los?

Die DIE POST ist schuld, und die Christen noch dazu. In den meisten Kantonen verunzieren gleich zwei Feiertage die Wochenmitte. Und die WoZ ist nun mal keine Sonntagszeitung, sondern könnte ebenso gut "Der Werktag" heissen (das haben wir schon einmal erwogen, mit dem Untertitel: die Zeitung mit dem ganz bestimmten Publikum). Die WoZ ist auf zwei aufeinander folgende Werktage angewiesen, einen, damit unsere liebe ropress sie druckt, und einen zweiten, damit die DIE POST sie zustellt. Und das macht sie am Samstag aus Prinzip nicht. Vergessen Sie dabei, was Sie von A- und B-Post gehört haben, der Umgang von der DIE POST mit Zeitungen folgt einer eigenen Logik. Nix Samstag.

Es gibt schon Ärger genug, wenn nur ein einziger Tag der Woche zum Feiertag erklärt wird. Der 1. August an einem Mittwoch - Hölle und Verdammnis! Wir hielten unseren Donnerstag - den 2. August - für nicht tangiert, und warum nicht an einem 1. August abschliessen und drucken lassen? Weil die Nationale Aktion für Volk und Heimat (ja, die Partei mit dem bundesgerichtlich bestätigten nazihaften Rassismus) ihn zum Feiertag hat erklären lassen? Wir sind doch nicht die patriotische Front. Tja, wir vielleicht nicht. Die Druckerei schrie ausser Zeter gerade mal noch Mordio und vor allem «2 Stunden früher abgeben», «Überstundenzuschlag» und weiss der Oehen noch was. Aber es kam noch schlimmer.

Der 1. August als Donnerstag: Alles 24 Stunden vor, die Zeitung am Dienstag fertig machen und drucken, Zustellung am Mittwoch, 31. Juli. Ja Heimatland! Da kam die DIE POST und wollte einen saftigen Zuschlag für die genau gleiche Arbeit, die sie nun am Dienstag statt am Mittwoch macht. Weil der Vertrag nur für den Mittwoch gelte, wenn sie jetzt plötzlich am Dienstag arbeiten sollten und am Mittwoch unerwarteterweise frei hätten, koste es natürlich mehr. Natürlich.

Natürlich können wir auf den Knien danken, dass die DIE POST die WoZ überhaupt spediert und die Preise nicht wöchentlich erhöht, sondern nur alle zwei Jahre (dafür umso saftiger). Erst wollte sie uns das Erscheinen am Donnerstag ganz verbieten. Nachdem dies nicht klappte, versucht sie es mit Schikanen. Wenn die WoZ am Donnerstag im Briefkasten sein soll, muss die DIE POST sie am Mittwoch um 22h30 haben. Ist doch spät genug, meinen Sie? Ich habe mal die alte Tante NZZ gefragt, ob sie Lust hätte, die WoZ-Auflage am Mittwoch bei unserer Druckerei abzuholen und zur DIE POST zu bringen, da sie ja sowieso mit einem Haufen Papier dorthin fährt (es hätte sich ja auch gut gemacht, die NZZ als Chauffeuse im Impressum zu erwähnen, zum Beispiel in der Rubrik "Special Guest Star". Die NZZ hat erklärt, um 23 Uhr fahre noch kein Lastwagen mit Papier zur Post, das geschehe erst später. Jo mei. Ich frug die Post an, wann so eine Zeitung denn dort sein müsse. Da ich schon frage, beschied man mir, sage man nun 20h00. Alles andere sei unzulässiges Gewohnheitsrecht.

Unter diesen Umständen will ich gar nicht erst versuchen, einen Weg zu finden, der die WoZ trotz ekelhaft verteilter Feiertage einigermassen pünktlich erscheinen lässt. Aber nächstes Jahr wird alles anders: am 24. Dezember 2003 soll eine WoZ erscheinen. So die DIE POST dies nicht auch noch verhindert.

Donnerstag, 26. Dezember 2002

Auch als Tagebuchautor denke ich immer an den Vorsitzenden Mao, besonders an dessen Geburtstag: Er wäre am Donnerstag schöne 109 Jahre alt geworden.

Die richtige Arbeit fängt somit erst am Freitag wieder an, und da ich mich ihr nun widmen muss, gibt's vorerst nur die vollständige Liste der Leute, die mir sofort Ihre AHV-Karte schicken bzw. ihre AHV-Nummer mitteilen müssen:

Mitteilung der Webdomina

Da der Buchhalterkerl gerade pausiert mit seinen Tagebuchbeiträgen, nutze ich die Gelegenheit, hier mit zwei Richtigstellungen aufzuwarten.
  1. Ich bin nicht schnäderfrässig! Ich esse bis auf dubiose Sachen im Fleischbereich notfalls alles, was auf den Tisch kommt.
  2. Der Buchhalterkerl hingegen hat sehr merkwürdige Essgewohnheiten. Die von ihm bevorzugten Menus eignen sich dazu, einen Zeppelin platzen zu lassen. - Dafür hat er eine Pizzaphobie, mit der er sich nicht auseinandersetzen will. (Glauben Sie jetzt bloss nicht, dass man mit ihm vernünftig über diese Themen diskutieren kann. Er streitet dann einfach alles ab.)
  3. Dass ich am liebsten vergammelte Joghurts mag, ist eine infame Lüge. Ich bevorzuge neuwertige. Aber der Buchhalterkerl hat mich mailmässig enorm vernachlässigt und das vereinbarte tägliche Minimum von sieben Mails nun schon mehrere Male unterschritten. So musste ich zu drastischen Massnahmen greifen und habe dem Kerl damit gedroht, mich mit den Überbleibseln eines Joghurtkaufrauschs von ca. Anfang November zu vergiften. - Jaja, ich weiss, dass man sich mit Jöges nicht vergiften kann, aber einem Kerl, der sowieso nichts vom Essen versteht (s. Punkt 2) kann man ja mal damit zu drohen versuchen . Verraten Sie ihm einfach nichts.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit und übergebe nun wieder an den Buchhaltungskerl, dessen Schreibpause vorüber ist.
Ihre Webdomina

Freitag, 27. Dezember 2002

Tüten kleben

Ferien, Krankheiten und meine Unfähigkeit, etwas zu organisieren, versauen mir den Tag: ich komme nicht umhin, höchstselbst 595 Aborechnungen zu drucken, einzupacken und zu verschicken. Die beiden Personen, die auf der Abrechnung firmieren, können also nichts dafür, ist alles von mir. Reklamieren können Sie aber trotzdem bei denen. Von meiner eigenen Arbeit habe ich so ziemlich gar nichts gemacht. Keine Zeit für vertiefte Betrachtungen der AHV-Problematik, das verschiebe ich mal auf Sonntag.

Samstag, 28. Dezember 2002

Papierberge

An die aus guten Gründen längst vergessene Prognose vom papierlosen Büro denke ich am liebsten beim Postholen. Wenn etwa von einem Verlag fünf oder zehn identische und fette B4-Couverts eintrudeln, jedes mit einer computerproduzierten Etikette adressiert, und zwar an alle möglichen Leute, denen offenbar unterstellt wird, etwas mit der WoZ zu tun zu haben. Es sind selten welche drunter, die noch am Leben bzw. auf der WoZ zu erreichen sind. Und das Zeug nimmt zu. Dank Verlagsdatenbanken, die nach Namen gieren. Und wenn mal ein Name drin ist, dann wird geliefert, bis der Computer von einem Meteor getroffen wird. Seit ich einen Zweitjob habe, wächst der tägliche Papierberg. Vorher hatte ich noch etwas Zeit darauf verwenden können, ihn zu reduzieren. Hatte E-Mail-Vordrucke zum Abbestellen des fünffach verschickten Materials. Gab als zuständige Redaktion immer unser unverwüstliches Geheim-Autorenpaar Franziska und Franz Moor an. Es gibt wenig schöneres als entsprechende telefonische Anfragen von Verlagen: ist immer noch Herr Franz Moor für die Literatur zuständig? Ja, ist er, und fürs Briefefälschen und Bruderverleumden genauso. Aber schreiben Sie trotzdem Redaktion Literatur hin; im Korrektorat arbeitet drum auch ein Franz Moor. Zuständig ist im Zweifelsfall immer Franz Moor.

(So nun im Bereiche der Literatur Thätige ob unserem Tagebuchkarl, verzeihet: -kerl, etwas verwirrt sein sollten: Dieser Kummer soll nicht euer Leben untergraben. Die Webdomina dürstet danach, Hilfe zu leisten. Ihr erhaltet deshalb zwei Stichworte --> Schiller, Räuber.)

Sonntag, 29. Dezember 2002

Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, liebe ehemalige Mitarbeiterinnen, sehr geehrte Frau Schmid!

Glaubt keinem, der behauptet, Hunde, die bellen, beissen nicht. Sie bellen nur, bis ihr schlaft, und beissen dann. An der Abhandlung über die AHV und die Altersvorsorge überhaupt führt kein Weg vorbei (lesen Sie's trotzdem. Es kommt auch etwas von internationaler Solidarität drin vor). Und da ich mich sowieso auf eine Karriere als Minister für Ankündigungen vorbereiten möchte, benenne ich schon mal die nächsten Meilensteine: Was sind Steuern, und wer meint was mit dem Begriff Steuersenkungen, und wer ist dieser Mittelstand schon wieder? Aber zunächst mal zur

AHV

Im Jahre 2002 haben 566 Leute eine Lohn- oder Honorarabrechnung von mir gekriegt. Diese Menge zerfällt in zwei Haufen: für 198 Personen muss ich die AHV abrechnen (wo zum Teufel bleiben die AHV-Nummern von Amrein Philipp, Baldinger Gaby, Erni Daniel, Fischli Andy, Meier Lorenz, Sutter Veronika, Trautmann Ursina, Vetsch Mona?), für den Rest nicht.

AHV-Beiträge sind auf allen Löhnen und Honoraren geschuldet, wenn die Empfängerin eine natürliche Person ist (keine AG, keine GmbH, keine Genossenschaft, kein Michael Jackson), in der Schweiz wohnt (das ist die Insel mit den Negern Europas), und nicht selbständig im Sinne der AHV ist (das sind Sie nur, wenn Sie bei der AHV beantragt und schriftlich bestätigt erhalten haben, sonst sind Sie's nicht, und wenn Sie es behaupten, glaube ich es Ihnen einfach nicht und ziehe die Beiträge ab, da können Sie noch so heulen und toben!).

AHV-Pflicht bedeutet im Normalfall bei einem Honorar von 100 Franken:

Andersrum: Die 14.7515 Franken, die an die AHV gehen, bestehen aus 6.55 Franken, die vom Bruttohonorar abgezogen werden, und 8.2015 Franken, die die WoZ dazulegen muss. Diese Unterscheidung ist wirtschaftlich bedeutungslos, entscheidend ist, dass die WoZ 108.2015 Franken aufwenden muss, wenn jemand 93.45 Franken kriegen soll, also sage und schreibe 15.8% des Betrages.

Und damit kommen wir zum Kern der Sache: die AHV ist eine Steuer auf Lohnzahlungen. Das ist eine technische Feststellung, keine Wertung. Was Steuern überhaupt sind, sehen wir uns später noch genauer an.

Mit 15.8% ist der Steuersatz vergleichsweise hoch. Der höchste bzw. normale Mehrwertsteuersatz ist mit 7.6% nicht einmal halb so hoch. Und dort gibt es einen Vorsteuerabzug, bei der AHV nicht. Und es kommt noch besser: diese 15.8-Prozent-Steuer belastet eine Zahlung, die bei der Empfängerin gleich nochmal versteuert wird, diesmal bei der Einkommenssteuer.

Naja, es ist ja für die Altersvorsorge? Denkste!

Die AHV-Steuern auf den Löhnen haben grundsätzlich nichts mit Ihrer Rente zu tun. Das V ist eine glatte Täuschung. Sie dürfen zahlen, Sie haben keine Garantie, dass Sie etwas bekommen (die meisten hier Mitlesenden sind sowieso Schurnis und sterben somit vor dem Rentenalter). Die AHV-Rente gibt es, weil das AHV-Gesetz den Leuten je nach Alter einen Anspruch darauf gibt. Als die AHV eingeführt wurde, erhielten die Leute über 65 Geld vom Bund, egal ob, wann, und wie viel sie jemals eingezahlt hatten. Es gab viele darunter, deren Löhne nie von der AHV besteuert wurden.

Stellen Sie sich die Sache mal umgekehrt vor: Der Bund schafft die AHV wieder ab. Nun haben wir das Spiegelbild der Einführung: Das Gesetz wird aufgehoben, folglich haben Sie ab sofort keinen Anspruch mehr, und wenn Sie zehn Mal 64 oder 65 oder 80 geworden sind. Dass die AHV jahrzehntelang ihren Lohn besteuert hat, und dies nicht zu knapp, interessiert dann genausowenig wie der Umstand, dass die ersten AHV-Rentner nie Beiträge geleistet hatten.

Das scheint Ihnen immer noch unplausibel? Die Beiträge hätten doch Einfluss auf die Rentenhöhe? Ein Fall für Radio Eriwan: im Prinzip nein. Das V von AHV ist zwar eine Täuschung, aber eine gute. Es gibt tatsächlich die persönlichen Konten, und zwar einzeln auf jeder Ausgleichskasse, bei der Ihre AHV-Karte mal vorbeikam. Und die Beiträge beeinflussen die Höhe tatsächlich. Beeinflussen. Das ist nicht bestimmen. Die Beeinflussung passiert zwischen der Minimal- und der Maximalrente, und nur da. Das Prinzip der AHV wird dadurch nicht beeinträchtigt.

Dieses Prinzip ist: der Bund gibt Leuten Geld, weil sie alt sind.

Und dazu braucht er doch eben AHV-Beiträge?

Nein. Dafür braucht er Geld, genau wie für das Militär und den Strassenbau und die Landwirtschaftssubventionen. Dieses Geld beschafft sich der Bund mit Steuern: Mehrwertsteuer, direkte Bundessteuer, Stempelsteuer, Verrechnungssteuer, Alkohol- und Tabaksteuer, Treibstoffsteuer, Biersteuer und die indirekte Lohnsteuer namens AHV- oder ALV-Beitrag.

Und damit komme ich zur zentralen Aussage des heutigen Tagebucheintrags: DE JAVANER WORDT MISHANDELT!

Das hat zwar nichts mit der AHV zu tun, aber zwischendurch muss ich etwas mit internationaler Solidarität machen. Sonst hält das noch einer für ein NZZ-Tagebuch. Ausserdem fürchte ich um Ihre Aufmerksamkeit und lockere daher kurz auf:

Max Havelaar ist keine Kaffeemarke und ursprünglich auch nicht ein Gütesiegel, sondern der Titel eines Romans, und zwar eines verdammt guten. Schon wieder eine Geschenkempfehlung. Weihnachten ist zwar vorbei, aber hier wird ja kaum jemand christlich tun wollen, und Geburtstag haben Ihre Bekannten alle mal (an Geburtstage glauben Sie dann wieder, he?).

Damit endet der Einschub mit der internationalen Solidarität. Kurz noch hoch die hoch die, nieder mit nieder mit und jetzt zurück zur AHV bzw. zu dem, was ich eigentlich sagen wollte: Es besteht kein GRUNDSAETZLICHER Zusammenhang zwischen AHV-Beiträgen und AHV-Renten! Es besteht ein Zusammenhang zwischen allen Einnahmen und allen Ausgaben des Bundes, nämlich der, dass Geld da sein muss, da es sonst nicht ausgegeben werden kann. Alles andere - und insbesondere alles, was Kasse oder Fonds heisst, ist eine reine Darstellungsfrage ohne Entsprechung in der Wirklichkeit. Wenn Sie alt und arm sind, brauchen Sie keinen Fonds. Dann brauchen Sie Geld.

Wenn Ihnen also in Zukunft jemand sagt, man müsse AHV-Beiträge zahlen, bzw. rauchen bzw. Plärromaten produzieren für die AHV, können Sie jetzt kontern: in Wirklichkeit werden die AHV-Beiträge für Ausgangsuniformen gebraucht, die Mehrwertsteuer für Sicherheitsseile für Hühner in der Hangzone IV und die Stempelabgabe für die AHV. Willst du im Alter nicht darben, zeichne folglich Obligationen! Es stimmt genauso. (Wobei: Rauchen für die AHV stimmt, aber nicht so, wie die meisten glauben: Rauchende helfen der AHV wie die Journalisten mit ihrem frühen Tod. Ideal für die AHV sind folglich rauchende Schurnis, nur rauchende Wirte sind noch besser. Gift für die AHV sind hingegen nichtrauchende Lokomotivführer).

Wenn wir nun dies einmal erkannt haben, wird auch die Problematik sichtbar: Der Bund braucht Geld für seine Aufgaben, für Viehhalterbeiträge in Berggebieten, für Militärgamellen, für AHV- und IV-Renten und für Betonierungsübungen en gros. Steuereinnahmen müssen her. Nun schauen Sie mal, was der Bund besteuert und was nicht:

Jetzt können Sie ein bisschen vergleichen. Zum Beispiel den Lastwagentransport mit der AHV. Oder die Steuer auf den Stromverbrauch mit der AHV. Oder die auf den Börsengewinn mit der AHV. Drehen Sie es, wie Sie wollen: es gibt, was die Steuerbelastung angeht, nichts teureres, als Löhne zu zahlen. Und zwar mit Abstand.

Wenn Sie die Wahl haben, mehr Energie zu verbrauchen - zum Beispiel für Lastwagentransporte - oder mehr Leute anzustellen, so wird dies von allerlei Faktoren beeinflusst. Was nun mehr oder weniger besteuert wird, ist einer davon.

Sie haben den Begriff «Lenkungsabgabe» sicher schon gehört. Es ist aber nicht bloss eine Lenkungsabgabe, was als solche konzipiert ist. Jede Steuer ist eine Abgabe (wir werden darauf noch zurück kommen), und jede Steuer lenkt. Die Lohnsteuer namens AHV lenkt ihrer Höhe wegen gewaltig. Die Steuer auf Energie lenkt ihrer geringen Höhe wegen überhaupt nicht.

Die Frage des Tages lautet nun: Finden Sie das gut?

Montag, 30. Dezember 2002

Die Altersvorsorge überhaupt

Sie ist in letzter Zeit ins Gerede gekommen. Erst wollten SVP und FDP die AHV abschaffen bzw. privatisieren bzw. einem erfolgreichen Geldvermehrer wie Martin Ebner anvertrauen, danach verschenkte die Rentenanstalt die Pensionskassengelder dem eigenen Management und musste daher via Verwaltungsrat Bührer und die Ausläuferin der Revisionsgesellschaft PWC (eine debile Göre namens Metzler) das Geld bei den Renten wieder reinholen. Und während für die reichsten 5% der Bevölkerung gleich mehrmals und auf mehreren Ebenen die Steuern gesenkt wurden, wurde die Mehrwertsteuer, die die untersten Einkommen am stärksten belastet, schon mehrmals erhöht, und dass dies so weiter gehen soll, ist bereits beschlossen: ein seltener Konsens von SVP bis SP.

Es ist mehr als nur etwas als faul mit der Altersvorsorge. Zuerst aber einmal ein Überblick über das System:

1. Säule: AHV

Der Bund zahlt Leuten Renten, weil sie alt sind. Finanzierung durch Steuern (Umlagesystem). Die AHV soll das Existenzminimum sichern. Langt das nicht - wenn die AHV-Minimalrente das einzige Einkommen ist, langt es sicher nicht - besteht gesetzlicher Anspruch auf Ergänzungsleistungen.
Nachteile
Vorteile

2. Säule: Pensionskassen (BVG)

Arbeitgeber, die Leute länger als drei Monate für mehr als 2'060 Franken monatlich beschäftigen, müssen für sie Altersguthaben in einer Pensionskasse äufnen. Das Geld bleibt auf einem individuellen Konto im Eigentum der Arbeitnehmerin und kann im Pensionsalter als Rente oder Kapitalleistung bezogen werden (Kapitaldeckungssystem). Diese zweite Säule ist als Ergänzung zur ersten gedacht. Sie soll die Fortsetzung des gewohnten Lebensstils ermöglichen.
Vorteile
Nachteile (= Vorteile der AHV, siehe oben)

3. Säule: freiwillige Selbstvorsorge

Wer Lust und vor allem Geld hat, kann in jedem Kalenderjahr bis zu einem Höchstbetrag von derzeit ca. 5'900 Franken Geld in ein Drittsäulekonto zahlen und diesen einbezahlten Betrag in der Steuererklärung vom Einkommen abziehen. Auch das Guthaben und der Zins darauf sind dann steuerfrei. Damit soll die freiwillige Selbstvorsorge gefördert werden.
Vorteil
Kein Verwaltungsknorz, einfache Handhabung, keine Belastung/Komplizierung der Lohnverhältnisse
Nachteil
Es nützt nur denen, die Geld haben, um es nutzen zu können. Also genau dort nicht, wo tatsächlich Armut im Alter droht. Wiederum Matthäusprinzip.
Wir können das natürlich alles vergessen. Erstens wollten wir gar nie alt werden. Zweitens ist das alles kapitalistisch, und der Kapitalismus wird sowieso bald abgeschafft, und dann ist das Zeugs hinfällig. Drittens gibt es die Währung gar nicht mehr, wenn wir mal alt sind. Viertens wird das, was ausbezahlt würde, nichts mehr wert sein. Fünftens gibt es Institutionen nicht mehr, die dann zahlen sollten. Sechstens gibt's gar nichts mehr zu kaufen, ausser vielleicht Soylent Green, und auch das wird noch knapp sein. Und siebtens wird die Welt dann nicht mehr so aussehen, dass wir uns noch etwas kaufen möchten, sogar wenn wir es könnten.

Obwohl dies alles plausibel klingt, gibt es gute Gründe, sich trotzdem mit dem Dreisäulensystem auseinander zu setzen. Hier werden Milliarden verschoben, und das beeinflusst unser heutiges Leben erheblich. Und wenn Sie jetzt denken, Sie hätten ganz bestimmt grössere Sorgen, die Wohnungsmiete zum Beispiel, oder eine Stelle zu kriegen: gerade damit hat das Dreisäulensystem einen Haufen zu tun.

Zukunftsprobleme der AHV

Zunächst aber zur AHV: es sind jetzt mehr Leute im Rentenalter als früher, und es werden in Zukunft mehr Leute im Rentenalter sein als heute. Das bedeutet, dass der Bund mehr Geld für die Renten brauchen wird als jetzt. Entweder wächst die Wirtschaft entsprechend, oder die Renten werden gekürzt, oder der Anteil der Renten am Gesamteinkommen steigt (und der Anteil der anderen sinkt entsprechend), oder es gibt eine Kombination von alledem.

Dies ist das AHV-Problem, und ich erwähne dies nur, um zu zeigen, was das AHV-Problem nicht ist: Kinder. Es gibt leider tausende von Politikern und Schurnis, die nicht nur behaupten, sondern sogar selber glauben, die Gesundheit der AHV hänge ab vom Zahlenverhältnis zwischen Leuten über und Leuten unter dem Rentenalter, weshalb bitteschön alle mehr kopulieren und dadurch Plärromaten installieren sollten. Und es gibt tonnenweise Leute, die das nachplappern (was aber die tatsächliche Plärromatenproduktion kaum beeinflusst). Es gibt noch eine Spielart dieses Irrglaubens: man akzeptiert die Gebärfaulheit der Eingeborenen und erhöht die Zahl der Leute unter 65 entsprechend mit MigrantInnen.

Sie, meine verehrten 7 LeserInnen, sitzen diesem Schwachsinn natürlich nicht auf, denn Sie wissen ja jetzt, dass die AHV-Renten mit den AHV- Prämien grundsätzlich nichts zu tun haben. Es bedarf allerdings nicht einmal dieses Wissens, um die Fehler zu sehen:

Fazit für heute: Das Grundproblem der Altersvorsorge

  1. Die Zahl der Pensionierten wird steigen.
  2. Entweder steigt das Bruttosozialprodukt mit, oder es gibt Verlierer im Verteilkampf.
  3. Wer «Lernt von den Karnickeln» propagiert, ist ein Schwachkopf oder hat Aktien in einer Windelfirma.

Mit b) müssen wir leben. Das gegenwärtige System kann trotzdem noch stark verbessert werden. Mehr dazu später.

Dienstag, 31. Dezember 2002

Pensionskasse - Gefangene werden nicht gemacht

Sehr geehrte Frau Schmid, liebe mittlerweile 7 WoZ- bzw. Ex-WoZ-Leute

Gestern begann ich damit, mich mit der Pensionskasse der WoZ herumzuschlagen. Heute Dienstag geht es weiter. Die Pensionskasse gibt sich kooperativ, soweit ihr System und ihr Computer dies zulässt. Und das ist leider nicht gerade viel.

Bei der AHV geht es um 198 Leute, bei der Pensionskasse um 38. Einfacher? Glauben Sie mir: lieber 10 mal AHV abrechnen als einmal Pensionskasse! Unter den Nachteilen der zweiten Säule habe erwähnt, dass die Verwaltungskosten zehn Mal so hoch sind wie bei der AHV. Das ist nix als eine Zahl. In jeder real existierenden KMU ist dies mehr als Schikane, es ist schiere Folter. Wenn Gesetze, gerade im Bereich der Wirtschaft, von Politikern und Juristen gemacht werden, ist das schon schlimm genug, denn das Resultat ist unanwendbar. Kommt die Versicherungslobby dazu, wird es hingegen schlicht kriminell. Das Stichwort ist bekanntlich RENTENKLAU, und der war programmiert.

Wie bei der AHV gibt es Lohnabzüge und Arbeitgeberbeiträge, was das Lohnzahlen verteuert und die Löhne schmälert, hier aber mit einem besseren Grund: das Geld fliesst auf ein persönliches Konto der Arbeitnehmerin, wird durch die Arbeitgeberbeiträge ergänzt, gesammelt und verzinst und nach Jahrzehnten wird eine tolle Rente draus. Theoretisch. Theoretisch können Sie auch in England Eisenbahn fahren oder in Kalifornien Strom beziehen. In der Praxis funktioniert die staatliche AHV, während das Pensionskassensystem nebst zehn mal so hohe Gebühren, Pleiten, Pech, Pannen, Verluste und daneben bestenfalls noch etwas Steuerbetrug hervorbringt. Die zweite Säule hat halt ein paar kleinere und ein paar grössere Nachteile.

Die kleineren Nachteile

  1. Das Pensionskassensystem ist gedacht für den familienernährenden 100-Prozent-Arbeitnehmer, der von der Lehre bis zur Pensionierung beim gleichen Arbeitgeber arbeitet und dessen Lohn innerhalb eines Jahres konstant ist.
  2. Während bei der AHV eine Meldung pro Jahr mit der AHV-Nummer und der Bruttolohnsumme genügt (zwei Zahlen!), braucht es bei der Pensionskasse formelle Eintritte, Austritte nebst Formularen für Heirat, Lohnänderung oder Übertrag von Freibeträgen.
  3. Bei der AHV ist der Beitrag in Prozenten vom Lohn festgelegt. Es gibt keine nennenswerten Ausnahmen. Bei der Pensionskasse ist erstens nur ein Teil des Lohnes massgebend, und der Prozentsatz ändert von Jahr zu Jahr und ist zudem je nach Alter und Geschlecht unterschiedlich.

Die grösseren Nachteile

  1. Während die AHV mit einigen wenigen Ausgleichskassen auskommt, muss jede Firma mindestens eine PK-Stiftung haben oder sich einer Sammelstiftung anschliessen.
  2. Es entscheiden Leute über Geld, das nicht ihnen gehört. Die Folge: Rentenklau. Dieses Problem ist grösser, als es beim ersten Lesen aussieht. Die Explosion der Krankenkassenprämien hat ebenfalls mit einem solchen Phänomen zu tun.
  3. Zwangsgespartes Geld muss Rendite bringend und sicher angelegt werden. Die Folge: Höhere Bodenpreise und damit höhere Mieten, Renditedruck auf Unternehmen und dadurch Lohndruck und Entlassungen. Kurz: die zweite Säule macht Sie arbeits- und obdachlos. Keine schlechte Leistung für ein Sozialwerk. Es hat halt einen gewaltigen Hebel: Ihr Geld.

Schauen wir uns die grösseren Nachteile etwas genauer an:

  1. Eine Folge aus der in den achtziger Jahren vorherrschenden Friedmann-Pinochet-Thatcher-Ideologie: alles privatisieren ausser Armee und Polizei. Nach dem Vorbild der AHV könnte das Problem mit einer Zentralisierung etwas gemildert werden, dafür würde es dann im Punkt 5 noch gefährlicher. Die Manager der Rentenanstalt konnten sich immerhin nur denjenigen Pensionskassengelder unter den Nagel reissen, die auch dort angelegt waren.
  2. Verbildlichen wir uns einmal die Interessen der Beteiligten. Dazu sei das so genannte ökonomische Prinzip vorausgesetzt. Es besagt, die Menschen täten in der Regel das, was ihnen Nutzen bringe (bzw. das, von dem sie zumindest vermuten, dass es ihnen Nutzen bringt). Dies ist eine Erfahrungstatsache und eine der grundlegendsten Regeln der Ökonomie. Für Sie ist nun wichtig, dass Sie diese kennen und wissen, dass dies nichts mit Moral zu tun hat. Dass die Menschen auf ihren tatsächlichen oder vermeintlichen Privatnutzen aus sind, müssen Sie nicht kritisieren, sondern wissen. Nun also die Interessen der Beteiligten:
    1. Die Arbeitnehmerin möchte vermutlich lieber keine Lohnabzüge, wenn schon, dann eine Rente dafür und generell keinen Aufwand mit dem ganzen Zeugs.
    2. Der Arbeitgeber möchte möglichst wenig Zusatzaufwand, sowohl finanziell (Arbeitgeberbeiträge) als auch administrativ. Entsprechend wenig möchte er mit der Sache zu tun haben, sie interessiert ihn auch weniger, da es ja nicht um sein Geld geht.
    3. Die Pensionskasse bzw. die Sammelstiftung möchte auch leben und somit lieber mehr als weniger Gebühren erheben und Gewinne für sich behalten (siehe Rentenanstalt).
    4. Der Manager der Pensionskasse möchte auch privat gelebt haben und lieber mehr Geld als weniger aus der Pensionskasse auf sein Privatkonto abziehen, sei es nun als Lohn, Bonus, Beratungshonorar oder sonstwas (wie zum Beispiel "Long Term Strategy").

    Ahnen Sie das Problem? Für das Wohl und Wehe des Gesparten interessiert sich die Arbeitnehmerin in der Position a). Die Entscheidung trifft die Person an der weitest entfernten Position d). Und was schlimmer ist: Die Interessen in Position c) und d), deren Einfluss auf das Pensionskassengeld dominant ist, widersprechen den Interessen der Position a). Für Ihr Pensionskassengeld sieht es damit übel aus, und übel ist es denn auch gekommen. Steigt die Börse um 200 Milliarden Franken, wandert das Geld in der Form von Boni in die Taschen der Manager. Sinkt sie, wird Ihre Rente gekürzt.

    Darum, liebe 7 WoZ- und Ex-WoZ-Leute, sehr geehrte Frau Schmid (sind Sie überhaupt noch dran? Oder ist sonst noch jemand da? Mailen Sie mal) ist der Rentenklau keine Panne und keine Ausnahme. Er ist systembedingt.

    Natürlich hatten die Politiker und Juristen dies nicht im Sinn (die Versicherungslobby, die sie bearbeitet, agitiert hingegen logischerweise für die eigenen Interessen). Das Gesetz enthält Bestimmungen, die die Mitbestimmung der Arbeitnehmerschaft sicher stellen und Missbräuche verhindern sollen. Und die Kantone mussten Ämter schaffen, die die Pensionskassen beaufsichtigen. Wie sie mittlerweise erfahren haben, hat dies nichts genützt. Dafür gibt es Ursachen, die ich aus Zeitgründen nicht ausführen will - das Versagen ist systembedingt und Erfahrungstatsache. Es ist übrigens immer so, dass Gesetze nichts taugen, wenn Politiker und Juristen sie machen; wenn ich mich nicht gleich wieder mit unserer Pensionskasse herumärgern müsste, würde ich Ihnen was vom SchKG, dem Konsumkreditgesetz und den ganzen Steuergesetzen erzählen. Aber man hat eben nie genug Zeit.

  3. Ihre Mietzinserhöhung, Ihre Lohnkürzung, Ihre Entlassung dank Ihrem Pensionskassengeld, oder andersrum: die Existenz einer arbeitnehmenden Mittelschicht (was das ist, darauf kommen wir später noch) bzw. ein Adjektiv vor dem Begriff der Marktwirtschaft ist ein Betriebsunfall in der Wirtschaftsgeschichte. Wir gehen dorthin zurück, wo die Sache anfing, nämlich zu einer Massenverarmung unter einer handvoll Superreicher, anders formuliert: Europa wird südamerikanisiert, und Ihr Pensionskassengeld ist das Schmiermittel dazu.

Die Einführung des Pensionskassenobligatoriums in der Schweiz im Jahr 1985 ist ein abschreckendes Beispiel, das sich zu Demonstrationszwecken bestens eignet. Es war absehbar, dass die Pensionskassen nun viel Geld sammeln würden, das sie erstens sicher und zweitens mit Rendite anlegen mussten. Da die Anlage in Aktien damals noch stark eingeschränkt war, war es sonnenklar, dass die Pensionskassen anfangen würden, Grundstücke zusammenzukaufen, mit oder ohne Häuser drauf, und dass die Grundstückpreise folglich steigen mussten.

In einem Markt wirken Preiserwartungen selbst erfüllend bzw. selbstverstärkend. Wenn alle höhere Preise erwarten, dann kaufen erst mal alle, um davon zu profitieren, und allein deswegen steigen die Preise; und wenn sie auch sonst gestiegen wären, dann steigen sie schneller und höher. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre - gleich nach der Einführung der zweiten Säule eben - erlebte die Schweiz das grösste Immoblienrallye ihrer Geschichte. Es galt als selbstverständlich, dass jedes Grundstück zwei Jahre nach seinem Kauf zum doppelten Preis verkauft werden konnte. Wer daneben langte, musste bloss etwas länger auf seinen Gewinn warten. Um die besten Spekulationskunden zu halten, gaben die Banken 133 Prozent des Kaufpreises als Hypothek - nach der erwartbaren Verdoppelung des Verkehrswertes war die Hypothek ja wieder auf vertretbaren zwei Dritteln unten.

In dieser Zeit wurde für ein leeres Grundstück mehr bezahlt als für eines mit einem Haus darauf. Bei einem Haus störte der Ertragswert - der maximal zu realisierende Mietzins. Bei einem leeren Grundstück waren den Preisfantasien keine Grenzen gesetzt. Der Hype war genauso fern von der Realität wie die Börsenblase.

Aber er hatte Wirkungen. Hunderttausende wohnen heute in Häusern, die in dieser Phase zu einem hohen Preis gekauft wurden. Die Mieten in der Schweiz stiegen um einen Drittel. Ein Drittel mehr, nicht für eine Gegenleistung, sondern für die Privatgewinne der Spekulanten - dank der zweiten Säule.

Dies ist wie gesagt nur ein Beispiel. Die Pensionskassengelder massieren sich weltweit in Fonds und werden zu Aktien. Die Pensionskassen werden Eigentümer von Unternehmen und müssen Rendite fordern. Und selbst, wenn Sie's nicht müssten, oder wenn die 6 Prozent genügten: das Kapital ist da, und die Fondsmanager kriegen es in die Finger - ein Narr, wer es nicht maximiert. Und wenn eines in der Betriebswirtschaft einfach zu verstehen ist, dann dies: der Lohn geht an die Angestellten und schmälert den Gewinn. Der Gewinn geht an die Eigentümer. Was müssen die Eigentümer machen, wenn sie mehr Gewinn wollen? Eben. Wenn Sie das nächste Mal im Monde catastrophique etwas von einer Diktatur der Finanzmärkte lesen, dann mit einem neuen Gefühl: Sie sind auf beiden Seiten dabei: mit Ihrem Pensionskassengeld bei den Tätern und mit Ihrem Leben bei den Opfern. Ich habe Ihnen ja gesagt: dieses Sozialwerk hat es in sich.

Und nun? Gefangene werden nicht gemacht. Der zweiten Säule wurde lange zu Gute gehalten, dass die Rente nicht von der Existenz bzw. der Zahlungsfähigkeit des Staates abhänge. Seit den Fällen Enron und Rentenansalt ist dieser einzige vermeintliche Vorteil eine Lachnummer (der Chef von Enron hat seiner Pensionskasse unmittelbar vor dem Zusammenbruch befohlen, ihm seinen wertlosen Aktienbesitz zum Höchstkurs abzukaufen. Dadurch wurde er um 344 Millionen USD reicher, während die Arbeitnehmer nicht nur den Job, sondern auch gleich die Altersrente los sind).

Es ist mittlerweile absurd, in der zweiten Säule Fehler angehen zu wollen. Die zweite Säule war von Anfang an ein Fehler und ist nicht zu reparieren. Sie gehört gestrichen.

Eine Reform der Altersvorsorge könnte so aussehen:

  1. Die jetzige zweite Säule mit ihrem Kapitaldeckungssystem wird abgeschafft, die Lohnabzüge und Arbeitgeberbeiträge fallen weg.
  2. Das jetzige AHV-Prämiensystem mit den bewährten Ausgleichskassen wird zur zweiten Säule, d.h. die Renten orientieren sich tatsächlich und voll an den geleisteten Beiträgen.
  3. Eine neue und administrativ extrem einfache erste Säule besteht aus einer Einheitsrente (zwischen der heutigen AHV-Minimal- und Maximalrente) und den bewährten Ergänzungsleistungen. Der Bund beschafft sich das Geld durch Energiesteuern. In Kombination mit Punkt 1 bleibt die Steuerbelastung gleich, aber es wird umgekehrt gelenkt; arbeiten wird steuergünstiger, Energie verschleudern teurer.

Mittwoch, 1. Januar 2003

If five per cent you seem too small, be thankful I don't take it all, oder was Sie noch nie über Steuern wissen wollten, aber jetzt trotzdem um die Ohren geschlagen bekommen, weil heute Feiertag ist und Sie keine Zeitung lesen können, ausser natürlich alte von der Beige.

Ich benötige keine alten Zeitungen für den heutigen Tag, weil die WoZ-Buchhaltung nach wie vor Hochkonjunktur hat, und im Abogeschäft gibt's ebenfalls viel zu tun. Dies hängt mit einer Werbeverlosung des Verbandes Schweizer Presse zusammen: ein Faltblatt, das für 20 Franken Schnupperabos von allen möglichen und unmöglichen Zeitungen und Zeitschriften anbietet, und das all diesen Zeitungen und Zeitschriften einmal beigelegt wird. Das ganze ist mit einem Wettbewerb garniert, bei dem natürlich Autos (was wohl sonst?) zu gewinnen sind. Da kann die WoZ nichts dafür, schimpfen Sie bitte nicht mit uns, wenn das Ding dann auch noch der WoZ beiliegt, das ist nun mal der Pferdefuss der Sache. Dafür habe ich heute schon 104 Schnupperabos erfassen dürfen. Das Ziel der WoZ ist übrigens, bei der Aktion mehr Abos zu gewinnen als Loki!

Steuern

Aber freuen Sie sich bloss nicht zu früh, der heutige Schwerpunkt kommt so unerbittlich wie ein Exekutionskommando. Die heutige Folge der Buchhaltungsecke (mit Meinungen eines Buchhalters von geringer Qualifikation) beginnt mit einem kleinen Steuerkatechismus:

Zuerst die Sinnfrage:

Steuern warum?

Ist zwar banal, aber eine griffige Formulierung kann nie schaden: Weil sich das Staatswesen alles Geld, das es für seine Angehörigen ausgibt, bei eben diesen Angehörigen beschaffen muss.

Und was sind Steuern?

  1. Öffentliche
  2. Abgaben
  3. Ohne unmittelbare Gegenleistung

Und was soll das heissen?

  1. Öffentlich: ein Staatswesen erhebt die Abgabe, und zwar aufgrund seiner Hoheitsgewalt. Wenn Sie den Sitzungssaal Ihres Kantonsparlaments mieten, um darin eine Tortenschlacht zu veranstalten, zahlen Sie dem Staatswesen Geld, aber aufgrund eines banalen Mietvertrages, den Sie genauso gut mit dem Dorftrottel oder einem Mitglied ihrer WG, Kleinfamilie oder gespaltenen Persönlichkeit abschliessen können. Eine Steuer hingegen kann die Abgabe an den Staat nur dann sein, wenn der Staat Ihnen gegenüber als Staat auftritt und nicht als Vertragspartner oder Almosenempfänger.
  2. Abgaben: Sie geben Geld ab (nicht alles ist banal, dieser Punkt aber schon).
  3. Ohne unmittelbare Gegenleistung: Das unterscheidet die Steuern von Gebühren für Pässe, Baubewilligungen, Trambillette und so weiter. Sie zahlen die Steuern weder, weil das Staatswesen etwas bestimmtes für Sie getan hat, noch erwerben Sie damit irgend ein Recht. Sie müssen zahlen, weil Sie dem Staat persönlich (durch Ihren Aufenthalt) oder wirtschaftlich (durch Ihre Firma oder Ihr Haus) angehören, und damit basta (siehe auch Punkt 1).

Es gibt nicht nur viele Steuern, sondern auch viele Facetten davon. Sie denken bei diesem Stichwort zuerst an Ihre Steuererklärung. Sind das DIE STEUERN? Die Steuererklärung ist auf jeden Fall nicht übel: über dieses Formular hantieren Sie mit nicht weniger als sechs verschiedenen Steuern (Einkommenssteuer Kanton, Vermögenssteuer Kanton, Kopfsteuer, Gemeindesteuer, direkte Bundessteuer, Verrechnungssteuer).

Bei der Steuererklärung sind Sie das so genannte Steuersubjekt. Steuersubjekt ist immer, wer zahlen muss. Das Steuerobjekt ist Ihr Einkommen und/oder Ihr Vermögen. Steuerobjekt ist, was besteuert wird. Die Einkommens- und Vermögenssteuern sind Subjektsteuern, weil es bei den Steuern auf das Steuersubjekt, also auf Sie ankommt. Es wird zwar Ihr Einkommen und Vermögen besteuert, nach Höhe. Aber das ist längst nicht alles. Es kommt auf Sie an. Ob Sie zum Beispiel verheiratet sind. Ob Sie Kinder haben. Ob Sie ein Haus oder eine Eigentumswohnung haben. Ob Sie Geld in ein Drittesäulekonto eingezahlt haben oder nicht. Ob Sie teure Krankheiten hatten. All das beeinflusst die Höhe der Steuern.

Nein, das ist nicht selbstverständlich. Es ist nicht einmal die Regel, sondern die Ausnahme.

Die Regel sind so genannte Objektsteuern. Hier zählt nur das Steuerobjekt. Ihr Radiogerät zum Beispiel. Die Billag fragt nicht ob es funktioniert, ob es je läuft und was Sie damit hören. Du haben Radio, du zahlen Radiosteuer. Dass das Ding Konzession genannt wird und von einer Billag AG kassiert wird, kann Sie jetzt nicht verwirren, denn Sie wissen nun ja, was eine Steuer ausmacht: Sie müssen zahlen, weil das Staatswesen Sie mit seiner Hoheitsgewalt dazu zwingt, und eine unmittelbare Gegenleistung, ein zumutbares Programm zum Beispiel, gibt es nicht.

Eine klassische Objektsteuer ist auch die Hundesteuer. Gross oder klein, beisst oder macht das sonst nie und überhaupt: sie kosten alle gleich viel.

Ein Musterbeispiel von Objektsteuer ist die Verrechnungssteuer, mit der Sie auf Ihrer Steuererkärung am Rande zu tun haben. Ein Musterbeispiel wegen des legendären Artikels 14 des Verrechnungssteuergesetzes:

Die steuerbare Leistung ist bei der Auszahlung (...) ohne Rücksicht auf die Person des Gläubigers um den Steuerbetrag zu kürzen (...)

Sie haben recht gelesen, so brutal, so gemein, so erbarmungslos können Steuern sein, und das Gesetz schämt sich nicht mal dafür: ohne Rücksicht! Schon gar nicht auf die Person! Abziehen! Egal, wen's trifft! Das, liebe WoZ-Leute, sehr geehrte Frau Schmid, waren noch Gesetzestexte. Nichts von dem Blablagummigummischwammschwammquark, der seit der Ära Koller aus dem EJPD quillt und der alles und nichts bedeuten kann.

Die Verrechnungssteuer hat sonst noch etwas ganz neckisches: Das Steuersubjekt (also die Person, die zahlt) ist nicht die Person, die mit der Steuer belastet wird. Das Geld fehlt letztlich der Sparerin, zahlen muss aber die Bank. Bei einem Sparzins von 100 Franken zahlt die Bank 65 Franken der Sparerin und 35 Franken der Eidg. Steuerverwaltung.

Die Sparerin kriegt nun 65 statt 100 Fr. (dass sie die 35 Franken zurück erhält, wenn sie das in ihrer Steuererklärung nicht verschlampt, unterschlagen wir hier einmal). Das ist ein Schaden. Die dergestalt unfein (ohne Rücksicht! Schon gar nicht auf die Person!) besteuerte Sparerin ist schlecht motiviert, die 35 Franken herauszurücken. Hinterziehen oder nicht? Geld sparen und Strafe riskieren oder ehrlich bleiben?

Das Verrechnungssteuergesetz lässt dieses Dilemma gar nicht entstehen. Wenn die Sparerin das Geld kriegt, ist die Steuer schon bezahlt. Und die Bank kommt ebensowenig in Versuchung: durch das Hinterziehen kann sie gar nichts gewinnen. So oder so musste sie 100 Franken abgeben.

Der Trick heisst Divide ed impera, teile und kassiere. Die Verrechnungssteuer ist dadurch nicht nur eine Objektsteuer, sondern auch eine Quellensteuer. Das Steuerobjekt - der Zins in unserem Beispiel - wird nicht dort besteuert, wo es ankommt, sondern gleich dort, wo es entsteht. An der Quelle eben.

Dieser Steuertyp ist aus nahe liegenden Gründen beliebt und wird deshalb häufig verwendet. Das Motiv ist am deutlichsten an der allseits beliebten Warenumsatzsteuer WUSt zu erkennen. Damit kein Steueraufstand provoziert werde, waren die Steuerpflichtigen Grossisten gehalten, die Steuer den Nichtgrossisten heimlich zu überwälzen. Wer den Konsumenten erkennen liess, dass er mit der Ware auch Steuern zahlte, dem drohten 10'000 Franken Busse. Die WUSt wurde 1995 leider durch die Mehrwertsteuer ersetzt, mit ihr entfielen auch die vielen netten Bundesgerichtsfälle zur Frage, was denn nun eine Ware sei: ein Bild von Picasso? Na hören Sie mal. Ein Bild von Rolf Knie? Können wir ja drüber reden.

Gehen wir zum Schluss noch weg von den Steuern, die so heissen, zu den Steuern, die nicht so heissen. Steuern sind nämlich eine sehr politische Angelegenheit. Sie bestimmen, wer wie viel zum Gemeinwesen beiträgt. Dies wiederum ist umkämpft, denn alle möchten möglichst wenig und am liebsten gar nichts bezahlen. Art und Höhe der Steuern sind folglich politische Entscheidungen. Und politische Entscheidungen sind beeinflussbar. Es ist daher wichtig, dass wir überhaupt wissen, was diesem Einfluss unterliegt. Es ist mehr, als Sie vielleicht denken.

Die Radiokonzession hatten wir weiter oben schon. Noch viel weiter oben hatten wir die AHV-Lohnabzüge. Mit den ALV-Abzügen ist es nicht anders. Der Staat kassiert aufgrund seiner Hoheitsgewalt ohne unmittelbare Gegenleistung.

Keine Steuern sind hingegen die Pensionskassenabzüge. Theoretisch können Sie in Ihrem Betrieb eine eigene Pensionskasse aufstellen, der Staat kassiert also nicht.

Denken Sie aber mal an die Krankenkassenprämie für die Grundversicherung. Eine Steuer? Aber sicher!

Der Staat verpflichtet Sie gesetzlich, einer Krankenkasse Prämien zu bezahlen. Und eine unmittelbare Gegenleistung gibt es nicht. Sie sind gezwungen, jede Leistung mitzubezahlen, auch wenn Sie selber nie eine beanspruchen. Und wenn Sie doch in eine Ambulanz verladen und zusammengebosticht werden müssen, so wird man das mit Ihnen auch machen, wie in jedem zivilisierten Land auf der Welt. Ob Sie versichert sind, fragt man nachher, und ob Sie die Prämie bezahlt haben, fragt man gar nie. Das Gesundheitswesen ist de facto staatlich.

Aber das Geld geht an die Krankenkasse? An eine vom Bund überwachte, die die Leistungen gemäss Bundesgesetz erbringen muss, und zwar darum, weil das Gesetz Sie verpflichtet, einer Krankenkasse beizutreten. Nix Vertrag. Alles Gesetz. Sie können sich zwar die Kasse aussuchen, genau so wie Sie sich die Gemeinde aussuchen können, in der Sie wohnen (und Gemeindesteuer zahlen) werden, oder als Arbeitgeber die Ausgleichskasse, über die Sie die AHV abrechnen, aber die Elemente bleiben:

Sie zahlen, weil der Bund Sie mit seiner Hoheitsgewalt (KVG) dazu verpflichtet, und dies ohne unmittelbare Gegenleistung. Die Krankenkassenprämie ist eine Steuer.

Es tönt kompliziert, ist aber die Regel: in allen Ländern Europas wird ein staatliches Gesundheitssystem mit Steuern finanziert. Der Sonderfall Schweiz zeigt sich in der besonders demokratischen Ausgestaltung dieser Steuer: es ist eine Kopfsteuer. Nicht Ihr Einkommen zählt, sondern die Zahl Ihrer Köpfe. Dieses europaweit einmalige System schafft die vollkommene Steuergerechtigkeit im Sinne von Maggie Thatcher: Egal ob Milliardär oder Arbeitsloser: die Poll Tax ist für alle gleich hoch.

Weitere geplante Folgen in der Buchhalterecke (Meinungen eines Buchhalters von geringer Qualifikation):

Donnerstag, 2. Januar 2003

Umschichtungen

Liebe WoZ- und Ex-WoZ-Leute, sehr geehrte Frau Lombardi, sehr geehrter Herr Aeberhard

Während Frau Schmid uns bedauerlicherweise verlassen hat oder sich zumindest tot stellt, hat dieses Tagebuch neues Interesse gefunden, weshalb es entgegen meinen ursprünglichen Plänen heute noch nicht eingestellt wird. Ab sofort heisst es hingegen nicht mehr Tagebuch, sondern «Buchhalterecke (für endgelagerte Meinungen eines Buchhalters von geringer Qualifikation)». Die Webdomina, die übrigens gar keine blöde Kuh, sondern viel mehr ein Schiff ist, wird den Link oben rechts auf der Hauptseite entsprechend umtaufen.

Anm. der Webdomina: Nein, wird sie nicht. Und sie wird nieniemals bekanntgeben, dass dieser total extrem unqualifizierte Buchhaltungstrottel ein total extrem unqualifizierter Buchhaltungstrottel ist. Da kann er sie noch lange dazu zu zwingen versuchen. Bis auf den ausgeübten Beruf - dieser Kerl von Tagebuchschreiber ist tatsächlich Buchhalter! - stimmt das nämlich irgendwie gar nicht.

Es scheint ausserdem der Eindruck aufgekommen zu sein, der Buchhalter klage über die Arbeit, die AbonnentInnen verursachen. Das ist ganz entschieden nicht so, und ich will gleich den Tatbeweis antreten: Mit sofortiger Wirkung wird zum neuesten Mitglied des Fördervereins ProWoZ erklärt:

Aeberhard Patric

Die Rechnung für den Jahresbeitrag von Fr. 470.- wird Ihnen in den nächsten Tagen zugestellt.

Da wir gerade beim Administratorischen sind, veröffentliche ich gleich den neuesten Steckbrief. Ich brauche sofort die AHV-Nummern von

Wo stecken die alle? Sachdienliche Hinweise lieber früher als später an die WoZ-Buchhaltung. Danke!

An dieser Stelle sei noch Erwin Nicoletti von der Pensionskasse NEST ehrenvoll erwähnt. Er hat den undankbaren Job, das entsetzliche Pensionskassensystem und seinen Computer mit unserem Ameisenhaufen zu versöhnen, und er macht das nicht schlecht.

Mit der Buchhaltung geht's auch endlich vorwärts. Die Unterlagen zum Geschäftsjahr 1999 sind im Keller versorgt, die Bundesordner, in denen das Papier drin steckte, mit der schönen Zahl 2003 neu angeschrieben, und die Buchhaltung des Jahres 1992 geht dorthin, wo sowas hingehört. Die ersten Rechnungen des Jahres 2003 sind auch schon gebucht.

Nun sind Sie nicht in die Buchhalterecke gekommen, um die täglichen Banalitäten zu lesen. Dies ist mir wohl bewusst, doch leider gerieten mir die Schwerpunkte inhaltlich und zeitlich aus dem Ruder. Die täglichen Happen müssen daher kürzer werden, und ich labere Sie jetzt voll, um davon abzulenken. Kommen wir trotzdem zur Sache:

Steuern: wer soll wie viel zahlen?

Viele werden es für selbstverständlich halten, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse der einzelnen, also das Einkommen, massgebend sein sollten. Dies war und ist allerdings alles andere als selbstverständlich, und die Regel ist es schon gar nicht. Immerhin ist heute in mancher Verfassung vorgesehen, dass für die Steuerlast die «wirtschaftliche Leistungsfähigkeit» Massstab sein solle, dem wird allerdings oft nicht nachgelebt.

Nehmen wir trotzdem mal das Einkommen als Massstab und schauen, wie sich verschiedene Steuern dazu verhalten.

Lineare Steuern

Die Steuer umfasst einen festen Prozentsatz des Einkommens. Dieses System ist den AHV-Steuern auf den Löhnen eigen. Bei einem Steuersatz von 5.05% wird ein Einkommen von 2'000 Franken mit 101 Franken belastet, ein Einkommen von 20'000 Franken mit 1'010 Franken, jedesmal 5.05% eben.

Auf den ersten Blick möchte man einem solchen System eine Art natürliche Gerechtigkeit zuerkennen, dies wäre jedoch falsch, und zwar aus folgendem Grund: Der Erhalt des eigenen Lebens, das bedeutet die Versorgung mit Nahrung, Kleidung und Unterkunft, kostet einen Betrag, der für alle Menschen ähnlich und somit unabhängig vom Einkommen ist.

Nehmen wir einmal an, der reine Lebenserhalt koste 1'500 Franken. Das sind

Noch extremer wird es natürlich, wenn wir den Lebenserhalt auf 2'000 Franken festlegen. Dann bleibt bei einem Einkommen von 2'000 Franken überhaupt nichts mehr zum Steuern zahlen, bei einem Einkommen von 20'000 Franken immer noch 18'000 oder 90%.

Daraus folgt, dass ein System, das die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt, bei höheren Einkommen nicht bloss einen entsprechend höheren Betrag, sondern auch einen höheren Prozentsatz vorsieht. Solche Steuern sind

Progressive Steuern

Beispiel: Direkte Bundessteuer und Einkommenssteuer der Kantone. Die oben dargelegte Überlegung basiert auf dem Engel-Schwabsche-Gesetz: der Anteil des Einkommens, der für den unmittelbaren Lebenserhalt gebraucht wird, ist umso grösser, je tiefer das Einkommen ist. Es brauchte nicht einmal neuzeitliche Volkswirte, um dies zu erkennen, dieser Satz findet sich schon in der Bibel (Markus 12.43): Eine arme Witwe wird verhöhnt, weil sie in der Synagoge nur die kleinstexistierende Münzeinheit gespendet hat, während begüterte Gemeindemitglieder grosse Beträge locker machten. Ein daher gelaufener Hippie aus Galiläa klärte die Gemeinde darüber auf, dass die Witwe, gemessen an dem, was sie überhaupt hat, mehr gegeben hat als alle anderen. Die Gegner des progressiven Steuersystems liessen ihn dafür umgehend kreuzigen.

Später hingegen, als die Marktwirtschaft noch ein Adjektiv hatte, galt das progressive Steuersystem als Selbstverständlichkeit. Selbst der Zürcher Wirtschaftsfreisinn leistete sich eine Verfassung, die die Steuerprogression als gerecht definiert:

Die Gesetzgebung bestimmt die Arten der für den Kanton und für die Gemeinden zu beziehenden Steuern sowie die Anwendbarkeit des Grundsatzes einer gerechten progressiven Belastung der Steuerpflichtigen nach der Grösse ihrer Mittel und des Grundsatzes der Steuerbefreiung kleiner Einkommen und Vermögen.

Seit die Finanz- und Wirtschaftspolitik der Staaten vom Modell Friedmann/Pinochet/Thatcher/Reagan beherrscht wird, sind die progressiven Steuern auf dem Rückzug. Sie werden nach und nach durch ihr Gegenteil ersetzt, also

Degressive Steuern

Man nehme die progressiven Steuern mal 1/x: Je weniger Sie verdienen, desto mehr davon müssen Sie abgeben. Eine Art natürliche Ordnung in jedem Staat, in dem die Reichen regieren (und wo ist es nicht so?) und der kein Adjektiv vor der Marktwirtschaft braucht. Das klassische Beispiel in der Schweiz ist die Krankenkassenprämie. Nehmen wir einmal an, sie betrage 200 Franken: Degressiv wirkt auch die Mehrwertsteuer. Die einheitliche Steuer, zum Beispiel auf Nahrungsmitteln oder Trambilletten frisst bei kleineren Einkommen natürlich einen grösseren Teil weg als bei grösseren. Davon später mehr.

So weit die technische Beschreibung der möglichen Zusammenhänge zwischen Steuerbeträgen und Einkommen. Während die Steuerprogression noch in den siebziger Jahren allgemein als gerecht anerkannt wurde, sieht sich heute, wer nur schon dafür eintritt, dass Leute mit hohem Einkommen mehr Steuern zahlen sollen als Leute mit tiefem, sogar von Teilen der Sozialdemokratie rechts überholt. Mehr dazu morgen.

Freitag, 3. Januar 2003

Die DIE POST deckt uns erstmals im neuen Jahr mit Papier ein. Die Redaktion fällt ein und hat natürlich schon Sonderwünsche: Rechnungen und Lohnausweise wollen manipuliert sein, wie war das nun mit meiner 2. Säule und was sagen uns die Erfolgsrechnungen der Filmfestivals bzw. -tage von Locarno und Solothurn?

Der Verband der Schweizer Presse schickt 48 Talons und der Aboprinz macht sich rar. Der Tag wird entsprechend lang - das Tagebuch muss hungern. Um 20h15 habe ich noch keine vernünftige Zeile geschrieben. Dabei hocke ich so offline wie ein vom hohem Seil gefallener Maulwurf in meiner Heimwerkstatt und kann nicht mal nachgucken, wo ich gestern stehen geblieben bin (ausser, ich ginge online, aber das kostet). Wir waren glaub ich irgendwo bei den Steuern. Wer zahlt was, wer meint was mit Steuersenkungen und so.

Für diese Betrachtung sollten Sie sich die Wirkung der progressiven, der linearen und der degressiven Steuern noch mal vor Augen führen. Scheuen Sie sich nicht, den gestrigen Grundkurs zu repetieren. Wir haben festgestellt, dass:

  1. Die progressive Besteuerung von Einkommen zur Zeit der sozialen Marktwirtschaft selbst von Rechtsparteien als gerecht erachtet wurde;
  2. Jede andere Art von Besteuerung die Leute mit hohen Einkommen bevorzugt, weil Ihnen nach Steuern nicht nur ein höherer Betrag, sondern ein höherer Anteil vom verfügbaren Einkommen übrig bleibt;
  3. Die progressiven Steuern Ausnahme und die degressiven oder linearen die Regel sind.

Steuersenkungen?

Wenn Sie die letzten zwölf Jahre in diesem Sonnensystem verbracht haben, haben Sie von einem Haufen von Steuersenkungen gehört, sowohl von geforderten, wie auch von erfolgten. Das Muster bestand in der Regel darin, dass die bürgerlichen Parteien Steuersenkungen forderten und durchsetzten und die Linken und Grünen erfolglos dagegen waren. Es scheint so zu sein, dass die Bürgerlichen tiefe und die Linken hohe Steuern wollen.

Das mit den Linken ist ein Fall für sich (und Sie können sich darauf verlassen, dass ich noch darauf zurück komme). Was die Bürgerlichen angeht, so trügt der Schein. In den letzten 12 Jahren passierte folgendes:

Die selben Bürgerlichen, die eben mit der neuesten Bundessteuerreform den reichsten 5% des Landes zwei bis drei Milliarden jährlich schenken, haben der nächsten Mehrwertsteuererhöhung bereits zugestimmt. Die Forderung nach Steuersenkungen bzw. die Empfindlichkeit bei Steuererhöhungen ist also sehr selektiv, und das hat System. Der alles andere als zufällige Effekt dieser Übung liegt auf der Hand: Die reichsten 5 bis 15% der Bevölkerung zahlen immer weniger, die anderen immer mehr Steuern. Die Tendenz ist ungebrochen, die Umverteilung von unten nach oben wird weiter gehen.

Das beste Beispiel für diese Politik ist die Partei, deren Rhetorik gegen Stüüre am lautesten ist. Im letzten Eidg. Wahlkampf, also genau dann, als die Zeitungen mit dem Slogan «Steuern runter! Damit deinem Schatz mehr zum Leben bleibt!» gepflastert waren, überwies der Nationalrat mit der üblichen Mehrheit von SVP, FDP und CVP die Motion Schmid, der damals noch kein halber Bundesrat, sondern ein SVP-Nationalrat war.

Die Motion verlangte, die direkte Bundessteuer zu senken und dafür die Mehrwertsteuer um 1.5% anzuheben, so dass die 5% der Reichsten weniger und alle anderen mehr zahlen müssten. Eben dies wird jetzt gemacht, die Senkung ist im Differenzbereinigungsverfahren, die MWSt-Erhöhung zur Kompensation wurde auf nächstes Jahr verschoben, damit es weniger auffällt.

Während der Grund für eine solche Umverteilung von unten nach oben gut nachvollziehbar ist - wir kennen inzwischen ja das ökonomische Prinzip - ist die Begründung interessant. Wer die 5% Reichsten in diesem Land reicher und alle anderen ärmer machen will, kann das nicht gut so formulieren. Samuel Schmid suchte und fand nichts, und kam schliesslich gerade in diesem Nichts auf einen genialen Ausweg: er begründete seine Forderung damit, dass der Wechsel von direkten Steuern zu indirekten Steuern ein altes Prinzip der schweizerischen Steuerpolitik sei. Dies stimmt zwar überhaupt nicht, aber es tönt so schön technisch, dass man es für plausibel hält, insbesondere dann, wenn man nicht recht versteht, worum es genau geht.

Den Trick müssen Sie sich merken. Beim nächsten Streit darüber, wer zum Beispiel putzen muss oder wer die Zeitung zuerst kriegt, erklären Sie Ihre Bevorzugung einfach zu einem alten Prinzip.

Aber zurück zur Steuererhöhung: Die ganze Geschichte spielt sich derzeit im helv. Parlament ab, es nimmt aber kaum jemand Notiz davon, also sagen wir's nochmal ganz deutlich: In der Schweiz werden die Steuern für 95% der Bevölkerung erhöht, damit sie für die 5 reichsten Prozent gesenkt werden können. Und dies auf Veranlassung der SVP mit den Stimmen der FDP und CVP.

Und nicht vergessen: Dieser Fall mit der Umschichtung von der direkten Bundessteuer zur Mehrwertsteuer ist nur ein Beispiel unter vielen. Jede Steuerreform der letzten 12 Jahre schuf direkt oder indirekt eine Mehrbelastung für den grössten Teil der Bevölkerung zwecks Entlastung der Spitzenverdiener. Der Erfolg dieser Politik ist gut messbar: Die Leute mit tieferen Einkommen haben Jahr für Jahr weniger Kaufkraft.

Die bürgerlichen Parteien versuchen den Eindruck zu verbreiten, sie kämpften für tiefere und die Linken für höhere Steuern (zur Linken komme ich noch). Es ist höchste Zeit, diese Behauptung der Wirklichkeit gegenüber zu stellen: Die bürgerlichen Parteien kämpfen seit langem erfolgreich für immer höhere Steuern für den grössten Teil der Bevölkerung und für die Begünstigung einer sehr kleinen und sehr reichen Minderheit.

Man fragt sich natürlich, wie es Abächerli & Co. geschafft haben, die Steuererhöhungspolitik von SVP und Konsorten als ihr Gegenteil darzustellen. Dafür gibt es mehrere Gründe:

Fortsetzung folgt, demnächst werden in der Buchhalterecke (mit Meinungen eines Buchhalters von geringer Qualifikation) folgende Fragen behandelt: Schönes Wochenende!
Ihr Dead accountant writing

Montag, 6. Januar 2003

Heute: Steuererleichterung für die traute Familie - ist das etwa nicht gut?

Als der derzeit aktuelle Steuerumbau mit saftigen Senkungen für eine Kleinstgruppe von Reichen und Superreichen und einer ebenso saftigen Erhöhung für alle anderen als Botschaft des Bundesrates ins Parlament und in die Nachrichten kam, begegnete mir die Geschäftsführerin eines so genannten Non-Profit-Unternehmens und strahlte über sämtliche verfügbaren Backen, weil sie, wie sie sagte, jetzt ja weniger Steuern zahlen müsse.

Wie wir inzwischen wissen, hat sie sich da getäuscht, denn bei dem Umbau (der eben wieder vom Nationalrat in den Ständerat wandert) müsste sie schon weit über 100'000 Franken jährlich verdienen (was sie nicht tut), um weniger statt mehr Steuern zu zahlen. Besser gesagt, sie wurde getäuscht, und das ist in diesem Fall ein starkes Stück: Die Frau war jahrelang bei einer Zeitung als Inlandredaktorin tätig gewesen.

Die faktenwidrige Propaganda der bürgerlichen Umverteiler ist also äusserst effektiv; wer - ausser ein paar perversen Steuerfetischisten und der rührige Bundesratsaspirant Rudolf Strahm - soll das falsche Spiel überhaupt noch durchschauen? Liegt es am Staat? Am System? An den Genen? An der Erziehung? Am zu vielen Fernsehen? Was ist politisch und was ist privat?

Ich schimpfe auf Faulheit und daraus resultierende Leichtgläubigkeit, auf mangelnde Disziplin sozusagen. Es ist tamisiech nicht schwierig. Wenn einer daherkommt - und vor jeder Wahl kommt sowieso ein christlicher Politiker daher - und die Familien mit einer Steuerreform finanziell entlasten will, so bedarf es keiner Fachkenntnis, eine einfache Frage zu stellen: wie viele Steuern zahlt eine Familie mit 40'000 und eine Familie mit 140'000 Jahreseinkommen vorher und nachher? Das sagt schon mal einiges. Und wer noch mehr haben will, kann noch ergänzen: und unter Einbezug der letzten sowie der nächsten Erhöhung der Krankenkassenprämien und der Mehrwertsteuer? Das sagt noch viel mehr.

Kein bürgerlicher Familienförderer versieht seine Steuerumbaupläne mit diesen oder ähnlichen Fallbeispielen. Sie würden nämlich zeigen, dass Leute mit Einkommen über 100'000 Franken Geld sparen und Leute mit Einkommen unter 100'000 mehr zahlen werden. Und kaum ein Journalist einer grossen Zeitung hakt nach. Der Ressortchef nimmt nämlich sich zum Massstab - er gehört zu der Minderheit, die es a) nicht nötig hat und b) trotzdem entlastet wird, weil das Projekt Förderung der Reichen zu Lasten der Armen bedeutet und nur aus Verkaufsgründen Familienförderung heisst.

In dieser Geschichte gibt es ein illustratives Detail: Kinderabzüge. Bei der direkten Bundessteuer standen zwei Modelle zur Wahl:

  1. Pro Kind muss die Familie einen festen Betrag (zum Beispiel 6'000 Franken) weniger zahlen. Der Betrag des Steuerausfalls, den der Bund für Familien mit Kindern in Kauf nimmt, würde dadurch auf alle Kinder gleichmässig verteilt. Leute mit kleinem Einkommen würden Geld herausbekommen.
  2. Pro Kind gibt es einen Abzug vom Reineinkommen. Der Kinderabzug senkt somit das steuerbare Einkommen und dadurch indirekt den zu zahlenden Betrag. Wegen der Progression ist der Steuerausfall bei Leuten mit hohem Einkommen sehr viel höher als bei Leuten mit tiefen. Familien mit tiefen Einkommen haben überhaupt nichts von diesem System.
Die Sozen haben die Modellrechnungen für diese beiden Varianten gemacht: Variante a) ist günstiger für alle mit Einkommen unter 180'000 Franken, Variante b) ist günstiger für alle mit Einkommen über 180'000 Franken.

Die immer gleiche Mehrheit von SVP/FDP/CVP wählte natürlich Variante b). Wortführer Villiger hatte noch ein schönes Argument parat: es gehe doch nicht, dass Leute Geld herausbekämen, statt dass sie Steuern bezahlten. Was er dabei, aus Unwissen oder Kalkül, vermutlich aus einer Mischung von beidem, unterschlug:

Wieder einmal Zeit für ein kurzes Fazit: wie immer vor eidg. Wahlen wird die direkte Bundessteuer familienfreundlicher. Familien mit Einkommen über 180'000 werden wesentlich entlastet. Die anderen zahlen mehr.

Die Botschaft zu dieser Umverteilung von tiefen und mittleren zu den höchsten Einkommen kam gleich nach der Debatte über Verkäuferinnenlöhne und Existenzminima heraus. Mit dem Verkaufsargument Familienfreundlichkeit konnte das Steuerpaket von der Debatte profitieren. Dass die nur die Superreichen entlastet und alle Familien in prekären Verhältnissen belastet werden, darüber brauchte man nicht einmal zu lügen. Wo die Schurnis zu doof zum Nachfragen sind (oder ihr Chef Partei ist), genügt das Verheimlichen vollauf (hier muss etwas Schnurnischelte sein; damit nicht noch ein Leser auf die Idee kommt, ich sei in Wirklichkeit ein solcher und gar kein Buchhalter, unverschämte Unterstellung und sowas muss man sich bieten lassen - also wirklich).

Nehmen wir einmal an, Familien in prekären Verhältnissen sollten tatsächlich finanziell entlastet werden. Wie müsste das aussehen?

Bleiben wir beim Bund. Bevor wir entlasten können, müssen wir überhaupt wissen, was belastet (und vom Bund beeinflusst werden kann). Das ist in Reihenfolge der Wichtigkeit für Leute mit eher tiefen Einkommen (Alle Beispiele für dreiköpfige Familien - bei mehr Kindern werden die Punkte 1-3 teurer und Punkt 4 billiger):

  1. Die Miete, deren Höhe das eidg. Miet-, Boden- und Steuerrecht mitbestimmt. Das gegenwärtige Mietrecht hat die Mieten endlos klettern lassen, das eben verabschiedete neue Mietrecht wird sie explodieren lassen.
  2. Die Krankenkassenprämien: Der Bund hat im KVG festgelegt, dass diese als Kopfsteuern erhoben werden müssen. Dies ist völlig unnötig und dient nur dazu, Reiche auf Kosten der Armen zu entlasten. Kein anderes Land Europas kennt übrigens ein solches System.
  3. Die Mehrwertsteuer: sie belastet alle Güter des täglichen Bedarfs und verteuert sogar das Wohnen, obwohl Wohnungsmieten theoretisch steuerfrei sind.
  4. Die direkte Bundessteuer: Bei einem Einkommen von 3'000 Fr. monatlich 16 Franken pro Jahr (1.33 Fr. pro Monat). Bei einem Einkommen von 6'000 Fr. monatlich 516 Fr. pro Jahr (43 Fr. pro Monat). Bei einem Einkommen von 14'000 Fr. monatlich Fr. 6'452 (538 Fr. pro Monat).

Was sehen wir daraus?

  1. Damit die Bundessteuer überhaupt etwas ausmacht, muss das Einkommen hoch sein.
  2. Damit die Bundessteuer verglichen mit der Krankenkassenprämie oder der Miete etwas nennenswertes ausmacht, muss das Einkommen extrem hoch sein.

Und was passiert nun, wenn die direkte Bundessteuer für Familien gesenkt wird?

  1. Familien mit kleinem Einkommen sparen überhaupt nichts
  2. Familien mit hohem Einkommen sparen sehr wenig
  3. Familien mit extrem hohem Einkommen sparen viel.
Doch das war nur der Spareffekt bei der Reduktion der Bundessteuer. Die hat noch zwei Nebeneffekte: erstens senkt die öffentliche Hand ihren Anteil an der Finanzierung des Gesundheitswesens, was die Prämien sogar dann explodieren liesse, wenn die Gesundheitskosten konstant blieben, zweitens wird die Reduktion der Bundessteuer bekanntlich mit einer Erhöhung der Mehrwertsteuer kompensiert.

Unter Einbezug dieser beiden Nebeneffekte führt die familienfreundliche Senkung der Bundessteuer zu folgenden Ergebnissen:

  1. Familien mit kleinem Einkommen zahlen empfindlich mehr (Krankenkassenprämien, Mehrwertsteuer)
  2. Familien mit höherem Einkommen sparen wenig oder zahlen wenig mehr.
  3. Familien mit extrem hohem Einkommen sparen viel.
Nun noch ein Fazit:
  1. Wer die Familien bei der direkten Bundessteuer entlasten will, entlastet nur solche mit extrem hohen Einkommen
  2. Wer Familien in prekären Verhältnissen entlasten will, muss zuerst bei den Krankenkassen-Kopfsteuern ansetzen, und zweitens bei der Art, wie Kinderabzüge bei den Steuern funktionieren.
Was wir jetzt nicht auch noch machen: die ganzen Sachen an juristischen Personen durchexerzieren, obwohl sich dies aufdrängt, nachdem die christlichen Politiker die direkte Bundessteuer einmal für spitzenverdienende Familien, nun aber auch noch für "kleine und mittlere Unternehmen" senken wollten. Machen wir's kurz und sagen mit Mani Matter: Mit Unternehmen ist es einfach sinngemäss.

Morgen in diesem Theater: der pangalaktische Donnergurgler und seine Wirkung aufs Gehirn bzw. der Versuch, die Steuerpolitik der Linken zu verstehen.

Tagebuch Dienstag, 7. Januar 2002

Der pangalaktische Donnergurgler und seine Wirkung aufs Gehirn oder wie wir uns die Steuerpolitik der Sozen erklären lassen

Die Zutaten für den pangalaktischen Donnergurgler sind derart exotisch, dass man durch die halbe Galaxis reisen muss, um sich einen zusammenzumixen. Wer diesen Aufwand scheut, kann die Wirkung simulieren. Dazu belegt man einen Goldbarren mit Zitronenscheiben und lässt sich damit anschliessend das Hirn aus dem Schädel schlagen. Gegen diese Simulation wird wiederum häufig eingewendet, dass sie einen beträchtlichen Reinigungsaufwand verursacht. Das heutige Tagebuch schafft hier Abhilfe: wir analysieren die Steuerpolitik der Sozen, das fühlt sich im Kopf gleich an wie der Trick mit dem Goldbarren, und Ihren Spannteppich können Sie hernach trotzdem behalten.

Ich geb's gleich zu: ich habe in der Ankündigung etwas grossmäulig von den Linken geredet, und nun kommt bloss die grösste der Partei'n dran. Mea Culpa - ich hatte dabei den eidg. Parlamentszirkus vor Augen. Die echten Linken - die Volksfront, die Befreiungsfront, die Volksbefreiungsfront, die Abteilung Kaffee und Kuchen, kurz, die "mit-deinem-Gefasel-von-Steuergerechtigkeit- kannst-du-doch-die-Wirtschaft-nicht-demokratisieren" -Fraktionen werden einfach unterschlagen, und das ist nicht mal weiter schlimm, weil die das Tagebuch nicht lesen. Die verlieren bloss dauernd ihre Schlüssel. Na gut, die Sozen lesen das Tagebuch auch nicht, aber ich schreib es jetzt trotzdem.

Wir haben ja festgestellt, dass in die Steuerpolitik der letzten zwei Jahrzehnte sowie die jetzigen und zukünftigen Änderungen zwei Dinge bewirken: Erstens, dass eine sehr kleine Gruppe von Spitzenverdienern sehr viel weniger Steuern zahlen muss, sowie zweitens, dass eine sehr grosse Gruppe von Klein- und Normalverdienern immer mehr Steuern zahlen muss.

Dies ist nicht das erklärte, offensichtlich aber das faktische Ziel der bürgerlichen Parteien, die hierzulande je nach Ort und Kammer eine solide bis erdrückende Mehrheit haben. Die Sozen sind bekanntlich überall in der Minderheit und können wenig ausrichten. Ausser vielleicht Schwerpunkte setzen gelegentlich ein Referendum ergreifen. Oder bei Abstimmungs- und Wahlkämpfen den Leuten vorrechnen, was die Steuerpolitik der bürgerlichen Mehrheit bei 95% der Bevölkerung für Folgen hat.

Die Sozen können die bürgerliche Steuerpolitik aber kaum angreifen, weil sie dafür mitverantwortlich sind. Und es kommt noch schlimmer: ohne die Mithilfe der Sozen wäre diese Umverteilung von unten nach oben nicht so einfach wie jetzt.

Am Kampf in der Abteilung Krankenkassenkopfsteuer liegt es nicht. Schon bevor das KVG da war, plädierten sie ebenso konstant wie erfolglos für einkommensabhängige Steuern (bzw. Prämien, wie das dort heisst, obwohl es Steuern sind, das hatten wir ja schon).

Der Fehler passiert bei der Mehrwertsteuer. Ich muss es hierzu leider noch einmal sagen: es ist nicht so (zumindest nicht auf Bundesebene), dass die Bürgerlichen tiefere Steuern wollen bzw. beschliessen. Sie haben bereits beschlossen, nach der Senkung der (einkommens-abhängigen) direkten Bundessteuer die (einkommens-unabhängige) Mehrwertsteuer zu erhöhen. Und genau dies mit Unterstützung der Sozen.

Wie die Sozen auf eine solch bescheuerte Idee kommen, der Erhöhung der Mehrwertsteuer zuzustimmen, darauf kommen wir noch (Ihr Gehirn darf sich freuen). Schauen wir zuerst, was dieser Fehler bewirkt:

Die Steuergeschenke der Bürgerlichen an die Reichen und Superreichen werden durch diese Kompensation überhaupt erst möglich. Die Bürgerlichen brauchen mit ihrer Mehrheit weder den Bund bankrott gehen zu lassen, noch zu erklären, warum nach der Steuergeschenkorgie nun beispielsweise die AHV-Renten gekürzt werden müssten, oder der Strassenbau eingestellt, oder die Post, Bahn oder Armee abgeschafft, usw. usf. Sie können den Spitzenverdienern via Steuergeschenke ein Mehrfaches der Wahlkampfspenden zurückgeben, weil die Sozen helfen, das Geld bei den Normal- und Kleinverdienern wieder hereinzuholen.

Stellen wir uns einmal vor, die Sozen bekämpften die MWSt-Erhöhung und ergreifen ein Referendum: die Bürgerlichen müssten erklären, warum sie jetzt von den Leuten mit kleinen und mittleren Einkommen mehr Geld haben müssen, und dies unmittelbar nach einer milliardenschweren Geschenkorgie für den Millionärsclub. Natürlich werden dann von den jährlich gesparten Milliarden schnell 10-20 Millionen - vergleichsweise ein Klacks - in eine Inseratenkampagne gesteckt, doch das Gelingen ist nicht sicher (beim EMG klappte es auch nicht).

Das Einstehen der Sozen für Steuererhöhungen für Kleinverdiener hat noch eine zweite Wirkung: Die Sozen können im Wahlkampf die bürgerliche Politik, dank der die Leute mit kleinen und mittleren Einkommen Jahr für Jahr real weniger Geld haben, nicht angreifen, weil sie einen Teil davon unterstützen. Dies macht es den Bürgerlichen leichter, ihre Steuererhöhungen für die grosse Masse als Senkung zu verkaufen, auf die (eben dank dieser bürgerlichen Politik) ständig steigende Belastung hinzuweisen und zu behaupten, man hätte das schon lange gesenkt, aber die blöden Sozen seien halt immer dagegen. Im Falle der Krankenkassenkopfsteuer, die die Leute am meisten schröpft, stimmt dies zwar nicht, bei der MWSt hingegen stimmt es schon halb. Die Sozen helfen ja mit beim Erhöhen.

Nun aber endlich zur Frage des Motivs bzw. zum pangalaktischen Donnergurgler: Warum zum Teufel tun die Sozen sowas?

Das geht nicht ohne Exkurs: ein Parteipräsident lancierte mit seinem Dekret, wonach die SPS nun dafür zu sein habe, dass die Schweiz der EU beitrete, einen erfolgreichen Werbegag. Er konnte dies um so leichter tun, und alle in seiner Partei konnten es um so leichter akzeptieren, als der Wille der SPS keine Rolle spielt. Erst müssten ja die Bürgerlichen auch wollen, dann noch das Volk, und dann noch etliche konservative Kantone, und spätestens daran scheitert die Sache sowieso. Die Forderung nach dem EU-Beitritt wirkte sich somit nur auf das Ansehen der Partei aus, war also nur Werbung, und eine erfolgreiche dazu.

Na und, höre ich Sie rufen, ich spüre überhaupt nichts im Hirn! Es kommt ja schon: Unglücklicherweise sind einige Parteileute selbst auf den Gag hereingefallen und gingen nun davon aus, dass die Schweiz bald in der EU sei (kräuselt's schon?). Und in der EU, da müssen alle eine MWSt von mindestens 16% haben.

Da gilt es aufzupassen: die Bürgerlichen wollen ja schon längst die einkommensabhängige direkte Bundessteuer ganz abschaffen und durch eine solche MWSt ersetzen - im Rahmen der Umverteilungspolitik von unten nach oben, die wir ja kennen. Sobald die Schweiz in der EU ist, ist diese MWSt auf einen Schlag da, und dann ergreifen die Bürgerlichen die Gelegenheit, und dann haben wir den Salat.

Diese Befürchtung ist gleichzeitig berechtigt und unbegründet. Berechtigt, weil dies tatsächlich das Ziel der Bürgerlichen ist. Eine entsprechende Initiative wurde schon einmal eingereicht, im Rahmen des runden Tisches aber zurückgezogen, und nun wird die Umverteilung scheibchenweise durchgezogen. Unbegründet ist die Befürchtung aus zwei Gründen

  1. Ein EU-Beitritt ist nicht absehbar
  2. Ein EU-Beitritt kommt gegen den Widerstand der SP nicht durch (weil nur ein Teil des bürgerlichen Stimmvolks dafür ist). Die SP kann ihre Zustimmung verkaufen, zum Beispiel dagegen, dass die höhere MWSt bei den Krankenkassenkopfsteuern kompensiert wird.
Das war ein kurzer Einschub Realität, wir gehen jetzt zurück in die Welt der Sozen. Ihre Strategie gegen das, was die Bürgerlichen am Tag nach dem EU-Beitritt gemeinerweise tun können, nämlich die Bundessteuer abschaffen, weil dann ja eben die MWSt höher ist, geht so: wir erhöhen die MWSt schon im Voraus immer ein bisschen, bis wir ganz ohne EU auf 16% sind, und reservieren das ganze Geld für die AHV oder etwas Ähnliches. Dann können es die Bürgerlichen nicht mehr brauchen, um die direkte Bundessteuer abzuschaffen.

Und so kommt es denn: man erhöht die Mehrwertsteuer und sagt, das sei dann im Fall für die AHV. Und beschliesst, weil es so schön ist, bereits die nächste Erhöhung. Die AHV ist gerettet. Wunderbar, finden die Bürgerlichen, dann können wir ja die direkte Bundessteuer für die Reichen senken, ohne dass uns jemand vorwerfen kann, wir nähmen den Leuten noch die AHV-Rente weg.

Dass der Bund - ob nun exkl. oder inkl. AHV - mit den hohen Steuerausfällen bei der direkten Bundessteuer Probleme kriegen könnte, ist kein Grund zur Unruhe. Dann muss man halt die Mehrwertsteuer wieder erhöhen, sagen bürgerliche Meinungsführer im Parlament ganz offen. Warum auch nicht? Es ist ja niemand dagegen.

Mittwoch, 8. Januar 2003

Ende der Durststrecke

Mit dem heutigen Tag haben Sie's überstanden: die drei schrecklichen Wochen zwischen der WoZ 51/02 und der WoZ 2/03 sind vorbei und mit ihnen der Buchstabendurchfall, der irreführenderweise als WoZ-Tagebuch verkauft wird. Was den Etikettenschwindel angeht, so hat ihn die Webdomina verschuldet, was Sie problemlos überprüfen können, indem Sie ca. 17 Kilometer nach oben scrollen; wenn es nach mir gegangen wäre, hiesse das Zeug hier Buchhalterecke. Aber eben. Auf mich hört ja keiner. Schon gar nicht das WoZ-Kollektiv. Mit diesem Haufen konfrontiert, war ich neulich verzweifelt genug, die Vertrauensfrage zu stellen, und die Antwort kam prompt und eindeutig.

Braucht hier jemand einen Buchhalter? Fachbeausweist mit Note 5,6? Angebote nehme ich jederzeit entgegen.

Zu den üblichen Verdächtigen bzw. Themen: beinahe hätte ich den Mittelstand unterschlagen. Ausgerechnet in diesen Zeiten, wo keine Woche vergeht, ohne dass jemand etwas für den Mittelstand tun will.

Wer ist der Mittelstand?

Bei einer halbwegs volkswirtschaftlichen Betrachtung können wir nahezu alle Schweizerinnen und Schweizer dazu zählen. Ihr mittelständisches Dasein wird von ImmigrantInnen laufend neu unterschichtet. Nun ist eine solche Betrachtung so allgemein, dass sie nichts mehr aussagt, und die vorgeblich für den Mittelstand gedachten Politmanöver haben damit auch nichts zu tun. Versuchen wir es a) konkreter und b) anders.

Dass wir uns heutzutage unter dem helv. Mittelstand etwas Konkretes vorstellen können, verdanken wir dem Präsdidenten des Arbeitgeberverbandes. Hier muss ich, was Sie, leidgeprüfte Leserinnen und Leser inzwischen fatalistisch hinnehmen, noch einmal etwas ausholen.

Ein Teil der Lohnsteuer im Rahmen der AHV ed al. besteht aus der 3%-Steuer namens ALV-Beitrag, die per 1. Januar auf 2.5% reduziert wurde (Sie kennen's ja nun: Steuer einkommensabhängig -> senken, Steuer nach Kopf -> erhöhen). Diese Steuer aber hat einen besonderen Kniff: sie gilt nur für Einkommen bis 106'800 Franken pro Jahr (8'215 Fr. pro Monat). Für höhere Einkommen ist sie kleiner, also degressiv: je höher das Einkommen, desto weniger davon muss als Steuer abgeführt werden.

Dem Arbeitgeberverband reichte dieses Steuerprivileg nicht. Einkommen ab 106'800 Fr. seien ganz zu befreien, dass da überhaupt noch etwas gezahlt werden müsse, sei eine "Strafsteuer gegen den Mittelstand".

Da haben wir's schon, eine präzisere Definition kann man sich gar nicht wünschen. Gehören Sie zum Mittelstand oder zum Proletariat? Ihre Lohnabrechnung liefert die Antwort, ab 8'215 Fr. pro Monat sind Sie dabei.

Wenn Sie also wieder hören, dass jemand den Mittelstand entlasten will, wissen Sie jetzt auch, was damit gemeint ist. Und für diesen Mittelstand sind die bürgerlichen Steuerreformen durchaus gedacht.

Ich habe auch noch versprochen, etwas auf die Sozen zu schimpfen, doch tue ich es ungern. Erstens bin ich hundemüde, zweitens habe ich mir auf Glatteis das Schienbein ramponiert, drittens sollen die drei Wochenbücher nicht mit wüsten Worten enden, viertens möchte ich einen Schluss wie bei Hey Jude, weil mir nämlich kein sinnvolles Ende einfällt. Ich nehme wieder mal vor, es kurz zu machen, und Sie ahnen bereits, dass ich das nicht schaffen werden. Ihr mangelndes Vertrauen erstaunt mich keineswegs. Ich ahne nämlich das Gleiche.

Naa, na na, nanananaaaaah

Also denn: am 24. November 2002 gab es eine eidg. Volksabstimmung mit zwei Vorlagen. Die Lager sahen so aus: in der einen Abstimmung alle gegen die SVP. In den zweiten Abstimmung Bürgerblock gegen SPS. Die eine Anordnung ist die Ausnahme, die andere die Regel.

Wenn Sie auf Schurnis und PolitikerInnen hören, so erhalten Sie den Eindruck, alle gegen die SVP sei die Regel. Die Sozen glauben das mittlerweile schon selber.

Wenn Sie die politischen Entscheidungen der letzten zwanzig Jahre betrachten, sehen Sie auf den ersten Blick, dass «alle gegen die SVP» eine seltene Ausnahme ist und fast immer mehr symbolische Dinge betrifft. Da wird debattiert über die Mitgliedschaft in der UNO, über ein EU-Beitrittsgesuch, das kein Mensch ernst nimmt, über die Volkswahl des Bundesrats, das Wirken einer Kompanie Soldaten im Kosovo; kurz, über Dinge, die sich wunderbar zum Leitartikeln eignen (auch in der WoZ) und in der real existierenden Küche bzw. vor dem Postomat völlig bedeutungslos sind, eine Art permanenter Flaggenstreit sozusagen.

Achten Sie hingegen auf die Entscheide, die auf das Leben der meisten Menschen konkrete Auswirkungen haben - das Mietrecht mit der Zinsspirale, das Gesundheitswesen mit seiner Kopfprämienkatastrophe, die stagnierenden Löhne, die dadurch Jahr für Jahr sinkende Kaufkraft, oder auch die Verkehrspolitik mit der Verlärmung aller, die keine Villa im Grünen haben, nebst all der Steuergeschichten, mit denen ich Sie seit Tagen quäle, so sehen Sie das übliche Mehrheitenmuster: die Mehrheit des Bürgerblocks überstimmt eine linke und grüne Minderheit.

So werden seit Jahrzehnten sämtliche wesentlichen (nicht symbolischen) Entscheidungen in diesem Land getroffen. Sie haben zur Folge, dass Lebensqualität und Kaufkraft immer grösserer Bevölkerungsteile ständig sinken. Es gibt nichts normaleres, als die Stimme nicht dem Lager zu geben, das einem dies eingebrockt hat, sondern einer Alternative.

Und wo ist die Alternative? Diejenigen, die gegen all das eintreten und immer überstimmt werden? Mitnichten. Die laufen im Land herum und finden, dieser Staat sei ihr Staat. Linke und Grüne wären die Alternative zur heutigen Politik, aber zumindest die Sozen tun so, als gehörten sie zum System. Das ist nicht nur unnötig, es ist falsch und rufschädigend.

Die SVP gehört fest zum bürgerlichen Regierungslager. In allen wesentlichen Fragen erreicht sie mit ihren Partnern die Mehrheit. Das hat nichts mit fehlendem Mut oder Stil der Liberalen zu tun, wie neuerdings sogar in der WoZ geleitartikelt wird, sondern mit gleichen Interessen (Regel Nummer eins: folge dem Geld). Dass diese Partei sich als Alternative anbietet und die Unzufriedenheit der Leute über die Auswirkungen ihrer Politik nutzen kann, ist nicht ganz so absurd, wie es anmutet: Die Sozen mit ihrer Regierungsbeteiligung, mit ihrer Identifikation mit einem Staat, der alle ihre Anliegen abschmettert, schaffen erst die Voraussetzung dazu.

Hinwiederum: wäre die Welt eine bessere, wenn die hiesigen Sozen sich als die Opposition begriffen, die sie in Wirklichkeit sind? Stimmen gewinnen und irgend einmal tatsächlich an die Regierung kommen wie der PCI aka PDS in Italien, Labour im verunreinigten Königreich oder die Sozen im grossen Kanton? Und sind wir nicht alle die Tiraden eines dahergelaufenen Buchhalters leid? Könnte da nicht jeder kommen? Und heisst diese Rubrik nicht WoZ-Tagebuch?

Ich gehe ja schon.

Doch bedenken Sie:

"Wir alle, die wir träumen und denken,
sind Buchhalter und Hilfsbuchhalter
in einem Stoffgeschäft oder in irgendeinem anderen Geschäft
in irgendeiner Unterstadt.

Wir führen Buch und erleiden Verluste;
wir ziehen die Summe und gehen vorüber;
wir schliessen die Bilanz,
und der unsichtbare Saldo spricht immer gegen uns."

Fernando Pessoa


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